Die Samenhändlerin (German Edition)
Mit hochrotem Kopf und zwei Topflappen in den Händen hob Wilhelmine den Deckel des Bräters an, in dem die Gans vor sich hin schmurgelte. Mit einem Löffel gab sie das Bratenfett, das sich am Boden gesammelt hatte, wieder auf die Gans und bestrich sie damit. Nach mehr als zwei Stunden solcher Behandlung hatte sich inzwischen eine goldbraune Kruste gebildet, die Wilhelmine das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Eine Gans zum Martinitag – so etwas hatte es bisher noch nicht gegeben. Schließlich war um diese Jahreszeit stets die Hälfte der Familie auf der Reise, und für den Rest lohnte sich ein solch aufwändiges Essen nicht.
»Einen feinen Braten hat die Seraphine uns da mitgebracht!« Wilhelmine lächelte ihrer Enkelin zu.
»Gans tot! Nicht essen!« Nicht zum ersten Mal an diesem Tag stiegen Flora Tränen in die Augen. Seit sie am Morgen gesehen hatte, wie Wilhelmine die Gans auf den Hackblock gelegt und ihr mit dem Beil den Kopf abgeschlagen hatte, während Seraphine das Tier festhielt, war sie nicht mehr zu beruhigen. Es half auch nichts, dass Wilhelmine ihr eine besonders schöne Feder geschenkt hatte. Flora, die zum ersten Mal in ihrem Leben gesehen hatte, wie ein Tier geschlachtet wurde, war untröstlich.
Wilhelmine verzog den Mund. »Wenn du so weitermachst, wird die Milch von deinem Geplärre sauer!« Ungeduldig schaute sie vom Topf mit dem Blaukraut zum Bräter, dann zu den Kartoffeln. Wenn sie das Festmahl bis zu Gottliebs Rückkehr aus dem Rathaus auf den Tisch bekommen wollte, war noch einiges zu tun. Mit Tante Finchens Hilfe konnte sie nicht rechnen, die hatte heute wieder einen schlechten Tag und lag danieder. Und Seraphine war ausgerechnet heute Vormittag zum alten Fritz Steinmehl gegangen, um ihm einen Anteil ihrer Einkünfte zu überreichen – als Ausgleich dafür, dass sie in seinem Samenstrich gewildert hatte.
Gottlieb war wütend gewesen, als er hörte, wo Seraphine die Sämereien verkauft hatte. Er wusste natürlich, wer den Samenstrich rund um Herrenberg innehatte. Und er wusste auch, dass Fritz Steinmehl aufgrund eines Leistenbruchs dieses Jahr nicht selbst auf die Reise gegangen war – was man nun fast als Glück ansehen musste. So würde er von Seraphines Verkäufen sogar noch profitieren.
Die brave Seraphine! Wie sie alles so tapfer gemeistert hatte! Ganz erschöpft waren die beiden angekommen, aber Seraphine hatte sich nicht etwa lange ausgeruht, nein, gleich am nächsten Tag hatte sie Hannahs alte Aufgaben übernommen. Nicht, dass Hannah ihr dies dankte – Gott bewahre! Das Gekeife zwischen den beiden Jungen war schlimmer als vor der Reise – so viel zuihren frommen Wünschen, die gemeinsame Reise würde die Frauen enger zusammenschweißen.
Hannah war aber auch undankbar, schoss es Wilhelmine durch den Kopf, während sie mit feuchten Händen Knödel formte. Statt sich darüber zu freuen, dass Seraphine putzte und wischte, einkaufen ging, den Keller fegte und die Packstube noch dazu, strafte sie die Schwägerin die meiste Zeit mit eisigem Schweigen.
Wilhelmine warf einen Blick auf die Küchenuhr. Fast zwölf. Hannah würde bald aus dem Waschhaus zurückkommen.
»Am besten übernehme ich das Waschen auch«, hatte Seraphine gesagt. »Sonst heißt es im Dorf am Ende noch, wir würden eine Kranke schinden!«
Wilhelmine sah dies genauso, aber Hannah, der Dickkopf, wollte die Arbeit im Waschhaus machen, wie eh und je.
»Ich bin vielleicht nicht so flink wie sonst, aber ans Bett gefesselt bin ich schließlich auch nicht. Ihr braucht nicht so zu tun, als wäre ich zu gar nichts mehr nütze!«, hatte sie gefaucht, den Wäschekorb ergriffen und war damit fortgehumpelt. Prompt verlor sie auf der Treppe das Gleichgewicht, Gottliebs Hemden landeten auf der Gasse, seine Unterhosen in den kahlen Rosenbüschen. Natürlich hatte ausgerechnet in diesem Moment die dicke Marianne ihr neugieriges Gesicht aus dem Fenster stecken müssen!
Wilhelmine schüttelte missbilligend den Kopf.
Dem Fuß tat dieses ewige Umherhumpeln gewiss auch nicht gut – Wilhelmine sah doch, wie Hannah vor Schmerz das Gesicht verzog, wenn sie sich unbeobachtet glaubte! Aber wehe, man sagte was. Dann fuhr Hannah auf, wie von der Tarantel gestochen.
Floras Weinen hatte sich zu einem hysterischen Heulkrampf gesteigert, der sich weder durch Wilhelmines Schimpfen noch durch beruhigende Worte eindämmen ließ.
Wilhelmine warf dem Kind einen ärgerlichen Blick zu. Wenn sich die kleine Range nicht beruhigte,
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