Die Samenhändlerin (German Edition)
ihr gern, sie braucht nicht so zu tun, als wäre nichts gewesen.«
Helmut nickte düster. Er hatte verstanden. Es ging darum, Hannah vor sich selbst zu bewahren. Und wenn er sie ans Bett binden musste – er würde schon dafür sorgen, dass ihr Fuß genügend Ruhe bekam und sie wieder gesund wurde!
39
»Ich gehe jetzt kurz zu Emma und bring ihr zwei von den Schnitzbroten.« Den Mantel um die Schultern gelegt, stand Hannah in der Küchentür.
Ruckartig schwang Helmut seine Beine vom Stuhl und legte die Zeitung, die er gelesen hatte, auf den Küchentisch.
»Du bist schon ausgehfertig? Aber du hast doch noch gar nichts gegessen! Komm, setz dich und leiste mir ein wenig Gesellschaft.«
Eilfertig rückte er seiner Frau einen Stuhl zurecht.
Mit einem leisen Seufzer hängte Hannah ihren Mantel über die Stuhllehne und nahm Platz, ihr verletztes Bein weit von sich gestreckt.
Normalerweise saß immer die ganze Familie mit am Tisch.Es kam selten vor, dass sie beide allein aßen. Sonst waren solche Momente, in denen sie sich bei einer einfachen Mahlzeit und einem Krug Most in Ruhe unterhalten konnten, für sie beide gleichermaßen wertvoll gewesen. Heute jedoch schien zumindest Hannah keinen großen Gefallen an der Zweisamkeit zu finden.
Wie feindselig sie ihn anstarrte! Was war nur mit ihr los, fragte sich Helmut nicht zum ersten Mal. Er hatte ihr doch nichts getan, weiß Gott nicht! Ganz im Gegenteil, er bemühte sich, Hannah zu helfen, wo es ging. Aber leicht machte sie es ihm dabei nicht.
Wenn sie wenigstens reden würde! Früher war ihm ihr ständiges Geplapper manchmal eine Last gewesen, inzwischen wünschte er es sich wehmütig zurück.
»Helmut?« Sie sprach ihn so unvermittelt an, dass er zusammenschrak.
»Ja?«
»Wo wir gerade einmal allein sind …« Sie räusperte sich.
»Ja?«, sagte er erneut und schämte sich fast, weil seine Stimme so drängend klang.
Hannah zögerte, dann winkte sie kopfschüttelnd ab. »Ach nichts.«
»Ach nichts? Ich sehe dir doch an, dass du etwas auf dem Herzen hast. Also: Raus mit der Sprache!«
Sie schüttelte abermals den Kopf. »Ist nicht so wichtig. Ich … ach vergiss einfach, dass ich etwas gesagt habe.« Die letzten Worte kamen so leise, dass Helmut Mühe hatte, sie zu verstehen.
Wie sie dasaß, mit ihren eingezogenen Schultern! Gebückt, als trüge sie die ganze Last der Welt auf dem Rücken. Dieses Häufchen Elend war doch nicht seine Hannah!
Helmut schluckte. Wie gern hätte er sie jetzt einfach in den Arm genommen. So wie früher, so, wie es zwischen Mann undFrau üblich war. Aber im Moment erstarrte sie bei der kleinsten Berührung zur Salzsäule und entwand sich seiner Umarmung. Dabei war er so vorsichtig, achtete immer darauf, nicht an ihr verletztes Bein zu stoßen. Früher hatte Hannah doch auch nicht genug kriegen können von seinen Umarmungen und Küssen! Aber seit sie aus Herrenberg zurück war, war sie kalt wie ein Fisch. Und er musste leben wie ein Mönch. Das war doch alles nicht normal!
Seraphine hingegen fand Hannahs Verhalten völlig verständlich. »Du musst geduldig mit ihr sein, der Unfall hat Hannah mehr zugesetzt, als sie uns alle glauben lassen möchte«, mahnte sie ihn immer wieder.
Ach verdammt!, fluchte er in sich hinein. Doch dann zwang er sich zu einem Lächeln und sagte: »Soll ich dir eine Scheibe Brot abschneiden? Oder willst du ein Stück Hefezopf? Warte, ich schau mal in der Speisekammer nach, ob noch welcher da ist.«
»Ich habe keinen Hunger«, sagte sie, noch bevor er aufstehen konnte.
»Aber …«
»Was aber? Wenn ich nicht essen will, dann will ich eben nicht! Musst du mich ständig bevormunden, als wäre ich ein kleines Kind?«
Verwirrt schüttelte Helmut den Kopf. »So war das doch nicht gemeint. Ich wollte doch nur …« Er verstummte, als Hannah aufstand.
»Ich bin dann weg.«
Helmut seufzte. »Jetzt warte doch! Die Brote kann auch ich zu Emma bringen, ich muss eh noch was erledigen, und die ›Sonne‹ liegt fast auf meinem Weg.« Mit einem Lächeln streckte er seine Hand nach den Broten aus.
»Danke, aber ich gehe lieber selbst. Oder sollte ich besser sagen: Ich humpele lieber selbst?« Mit einem rauen Lachen wandte sich Hannah von ihm ab.
»Dann komm ich mit! Ich könnte dich stützen, die Straßen sind heute Morgen teuflisch glatt, das habe ich beim Schneeschippen gemerkt … Hannah, warte! Hannah!«
Betroffen schaute er ihr nach.
Wie sollte das nur weitergehen?
In der Nacht hatte es geschneit, und
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