Die Samenhändlerin (German Edition)
lautlos schlich sie um die Hütte, spähte zum Fenster hinein.
Und die Zeit gefror.
Sie blinzelte, als wolle sie sich versichern, dass sie nicht einer optischen Täuschung unterlag – geboren aus der Angst, das Schlimmste erwartend, geboren aus der Hoffnung, das Schlimmste träte nicht ein.
Aber die entblößten Brüste waren keine optische Täuschung, sondern so real wie Helmuts Hand, die unsicher über silberblondes Haar strich.
Hannahs Blick fiel auf den Wollpullover in ihrer Hand. Der Gedanke, Helmut etwas Trockenes zum Anziehen zu bringen, erschien ihr plötzlich lächerlich. So lächerlich, wie sie sich selbst vorkam. Eine lächerliche, dumme Person.
Ihr erster Impuls war, wegzulaufen und so zu tun, als ob sie nichts gesehen hätte. Sie war ein Krüppel, keine Schönheit, zu nichts nutze, das hatte sie in den letzten Monaten mehr als gründlich bewiesen. War es da ein Wunder, dass sich Helmut von Seraphines Reizen betören ließ?
Doch plötzlich hatte sie Valentins Stimme wieder im Ohr. Die Hannah von früher hätte sich das nicht gefallen lassen.
Zu lange hatte sie sich hinter ihrer Verletzung versteckt. Angst und Unsicherheit hatten alles überwuchert, so lange, bis von der »alten« Hannah nichts mehr zu sehen war. Bis sie nicht einmal mehr wusste, wer die alte Hannah gewesen war. Sie selbst hatte Seraphine freie Hand gegeben, sie hatte Helmut in Seraphines Arme getrieben – das war die Wahrheit!
Seraphine …
Hannahs Augen verengten sich zu zwei schmalen Schlitzen. Dieses Weibsbild! Dieses Biest! Sie würde ihr die Augen auskratzen und –
Die Klinke schon in der Hand, hielt Hannah inne.
Natürlich konnte sie in die Hütte stürmen und Seraphine an den blonden Loden herausschleifen. Oh, wie sehr es sie danach gelüstete!
Natürlich konnte sie auf Helmut losgehen, ihm den nächstbesten Gegenstand an den Kopf werfen, ihn einen Schuft schimpfen. Wie konnte er es wagen, Sera anzurühren! Die Hölle würde sie den beiden heiß machen!
Und dann?
Dann vermochte sie sich in ihrer rechtschaffenen Empörung zu suhlen wie eine Sau im Schlamm. Aber worüber war sie eigentlich derart empört?
Vor Hannahs innerem Auge türmte sich plötzlich ein riesiger, unsichtbarer Wall auf. Alles, was ihr Leben ausmachte, alles, was gewesen war, und alles, was noch sein würde – sie wusste nicht, was hinter diesem Wall auf sie wartete. Ob sich Helmut noch einmal auf sie einließ. Ob sie sich auf ihn einlassen konnte. Sie wusste nur, dass sie nicht für immer und ewig hinter dem vermeintlich schützenden Wall stehen bleiben konnte. Aber um ihn zu überwinden, brauchte sie Mut.
Mit einem letzten tiefen Atemzug packte sie den verrosteten Türknauf und riss die Tür auf.
42
»Hannah!«
Helmut und Seraphine erstarrten in ihren Bewegungen.
In der Hütte war es sehr warm, ein unverkennbarer Geruch nach Erregung hing in der Luft und ließ Hannah würgen.
Aus einer Quelle tief in ihrem Inneren schöpfte sie ein Lächeln. Sie schenkte es Helmut, der sie fassungslos anschaute. Erst dann wanderte ihr Blick weiter zu Seraphine. Ein Blick, den man einem Hund zuwerfen würde, der einen Haufen mitten ins Zimmer gemacht hatte.
»Geh nach Hause.« Worte, so leidenschaftslos, so trocken wie ihr ganzer Mund und dennoch so süß wie nichts, was Hannah bis dahin gekostet hatte.
Seraphines Gesicht zerfiel in tausend Einzelteile.
»Was willst du hier?« Ihre Stimme schrill, nicht mehr engelsgleich, nicht silbergelockt. Besitzergreifend rückte sienäher an Helmut heran, der ihr, an die Bretterwand der Hütte gelehnt, nicht ausweichen konnte.
»Geh nach Hause«, wiederholte Hannah, »dein Mann wartet auf dich.« Ohne viel Aufhebens schnappte sie Seraphines Bluse, ihre Schuhe, warf alles vor die Tür. Als sie die Schwägerin am Arm packen wollte, stieß diese einen Schrei aus.
»Lass mich in Ruhe, du Hexe! Du hast hier nichts verloren! Du verstehst nichts! Helmut gehört mir! Verschwinde wieder, bitte, ich … gerade jetzt –«
»Seraphine.« Helmuts Stimme unterbrach Seraphines hysterisches Geschrei.
Gierig fuhr sie zu ihm herum, das Gesicht voller Hoffnung.
»Geh!« Er nickte ihr wie einem Kind besänftigend zu.
»Aber … Helmut! Sag, dass das nicht wahr ist. Du und ich – « Seraphines Blick flog nervös von ihm zu Hannah und wieder zurück. Sie ließ sich zu Boden sinken. Ihre Haut war weiß wie Schmalz, jeder Tropfen Blut schien aus ihr gewichen zu sein.
Einen Moment lang befürchtete Hannah, die Schwägerin
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