Die Samenhändlerin (German Edition)
Polsterstoff verhakt. Seraphine hob die losen Fäden vom Stoff, bohrte sich weiter darunter, hob neue Fäden an, kratzte weiter …
Natürlich hatte sie Helmut gehört, sie war ja nicht taub.
Mit einem abwesenden Lächeln schaute sie schließlich auf. Als sie sein zu einer Grimasse verzerrtes Gesicht sah, die Augen verzweifelt weit aufgerissen, die Lippen bebend, kam die warme Welle wieder. In ihren Ohren summte es, das Herz schlug schnell. Ihr Helmut! Wie sehr er sich quälte! Da stotterte er wie ein verstörter Schulbub, stöhnte, fing Sätze an und brach sie wieder ab. So viel Mühe, und dabei redete er nur dummes Zeug. Seine Reise nach Nürnberg, ein Mädchen namens Hannah, Valentins Krankheit – was ging sie das alles an? Was ging sie beide das an? Am liebsten hätte sie ihre Arme um ihn geschlungen, ihre Brüste an ihn gedrückt, sich an ihm gerieben wie eine Katze. Stattdessen hob sie ihre rechteHand, strich sanft über seine Wange. Die schwarzen Bartstoppeln kratzten wie zuvor der abgewetzte Polsterstoff. Ach Helmut …
»Seraphine, jetzt sag doch endlich was!« Er rückte von ihr ab, ihre Hand fiel ins Leere. Die Stille wurde bedrohlich, sein schweres Atmen mit bebenden Nasenflügeln …
Nürnberg, Hannah, Nürnberg .
Das Zimmer schwankte, das Sofa schwankte, Konturen verwischten, zitterten, Schwindel hob sie wie eine Sturmböe nach oben. Seraphine musste sich mit beiden Händen am Sofa festhalten. Aber als sie Helmut anschaute, saß der ganz ruhig da. Konnte es sein, dass dieses Beben nur in ihr stattfand? Unwillkürlich schüttelte sie sich. Weg mit den Worten, die sie nichts angingen.
»Ich wollte dir doch von meinem Traum erzählen. Wir beide waren auf einer Reise. Keine normale Reise, sondern in einer Kutsche, die ganz silbern aussah. Und die beiden Rösser, ebenfalls ganz silbern …«
Seraphine schloss die Augen. Dieser Glanz! Als hätte die Sternenfee alles mit silbernem Staub besprenkelt.
»Wir saßen ganz eng beieinander, die Kutsche fuhr von selbst, niemand saß auf dem Bock, ist das nicht seltsam?«
Helmut sprang auf, lief wie ein eingesperrter Löwe zwischen Tür, Fenster und Sofa hin und her. »Mein Gott, Seraphine, komm zu dir!«
Die Kutsche löste sich auf, ihr Traum wurde zu einem schrillen Schrei. Seraphine hielt sich am Sofa fest, vielleicht kam das Beben wieder. Aber – nichts.
»Wie kannst du jetzt etwas von Träumen daherfaseln, das hier ist bittere Realität! Mach’s mir doch nicht so schwer. Schrei mich an! Beschimpfe mich als den Schuft, der ich bin! Hau mir eine runter, ganz egal!« Ein wütender Schluchzer entwich seinem Mund.
»Warum sollte ich das tun?« Seraphine schaute verwundert auf. »Ich liebe dich doch!«
»Aber ich bin deiner Liebe nicht wert, verdammt!« Helmut setzte sich wieder. Schaute sie an, seltsam, nicht wie sonst. Fast … brutal. Seraphine spürte, wie ein großes Unbehagen in ihr hochkroch.
»Seraphine, wir können nicht heiraten, hast du das verstanden? Die Hochzeit ist abgesagt. Ich muss eine andere Frau heiraten. Ich muss, verstehst du? Mein Vater geht diese Woche noch nach Reutlingen zu seinem Advokaten, um herauszufinden, welche Entschädigung dir zusteht. Wir … ich werde alles tun, um diese Sache wieder gutzumachen, das kannst du mir glauben.«
Entschädigen, wieder gutmachen … Seraphine lächelte und verschloss die Ohren. Lächeln tat weh, ihre Wangenknochen schmerzten davon. Doch dann war die Stille vorbei, das Summen wurde stärker, lauter, wie ein Bienenschwarm breitete es sich bis in ihren Kopf aus. Gedanken lösten sich auf, Gefühle galoppierten davon, so schnell, dass niemand sie hätte einfangen können. Die Sternenfee vielleicht. Ja. Aber die war nicht da. Nicht in dieser Hütte. Nicht jetzt. Seraphine seufzte.
»Natürlich verstehe ich …« Ihr Blick suchte erneut Helmuts Gesicht, seine schönen Augen, saugte sich an ihm fest. »Aber wir lieben uns doch! Wir zwei, wir gehören zusammen, daran hat sich doch nichts geändert, oder?«
»Doch … nein!« Gequält schüttelte er den Kopf. »Natürlich liebe ich dich, aber …«
Natürlich. Er liebte sie. Alles war gut. Seraphine atmete tief durch. Die anderen Worte waren unwichtig.
»… nicht dem Ruf des Herzens folgen, verstehst du? Das Herz muss hintanstehen. Wir müssen beide stark sein.«
»Ja«, hauchte sie und nickte vertrauensvoll. »Wir gehören zusammen. Für immer und ewig, alles andere ist unwichtig.«Sie lächelte. Tapfer. Stark. Weg mit den
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