Die Samenhändlerin (German Edition)
unwichtigen Worten. Alles war gut. Er liebte sie.
»Mein Gott, bin ich froh, dass du das so siehst!« Er warf einen verstohlenen Blick zur Tür, dann nahm er Seraphine in den Arm. Drückte ihr einen Kuss auf die Wange. »Du glaubst ja nicht, mit welch mulmigem Gefühl im Bauch ich hierher kam!« Helmut sprang auf, hatte es auf einmal eilig. »Sag deiner Mutter, dass ich nicht zum Essen bleiben kann. Ich komme aber wieder und spreche mit ihr und deinem Vater, wenn er zurück ist. Mein Vater wird auch kommen, er wird alles Weitere regeln, dir soll ja schließlich kein Schaden entstehen! Ich … Ach verdammt, Seraphine, es tut mir Leid. Entschuldigung …«
Helmut rannte aus dem Raum und wäre beinahe mit Else Schwarz zusammengestoßen.
Seraphine schaute ihm nach. Sie wollte ihn rufen, aber jedes Wort wurde vom Summen des Bienenschwarms verschluckt. Warum bat er um Entschuldigung? Das tat man, wenn man jemandem auf den Fuß getreten hatte. Oder wenn man ihm versehentlich in die Rippen geboxt hatte. Aber nicht, wenn … die ganze Welt einstürzte. Weg, weg mit den Worten, die nicht hierher gehörten!
»Kind! Sera! Ich …« Die Stimme ihrer Mutter, erstickt, mehr ein Gurgeln, im nächsten Moment Arme um sie, der Geruch von Schweiß und Sauerkraut, ein Druck, so fest, so fest, gegen die Innenwände ihrer Brust, der das Atmen fast unmöglich machte.
»Wie kann er …« Wieder dieses Gurgeln, voller Rotz, voller Spucke. »… Herz brechen …« Tränen, die ihr Kleid tränkten, feucht und heiß. »Deine verlorene Ehre … die Leute im Dorf … das Gerede … Wer wird dich jetzt noch nehmen …«
»Mutter! Hör auf!« Wimmernd befreite sich Seraphine aus der Umklammerung. Sie wischte die feuchten Hände an ihremRock ab, kleine Flusen vom Sofapolster blieben dennoch kleben.
»Es gibt keinen Grund zu heulen!« War das ihre Stimme? So blechern und hohl?
»Aber Kind, er hat dir gerade …« Ihre Mutter, hilflos wie immer. Wie sie schaute, verwirrt, ängstlich, ohne jeden Glanz im Auge. Beinahe angewidert wandte Seraphine den Blick ab, legte ein Kissen auf die löchrige Stelle im Sofapolster. Stand auf. Sie hatte Hunger, ganz urplötzlich, war das nicht seltsam?
»Helmut redet dummes Zeug. Das tun Männer manchmal, das müsstest du doch am besten wissen. Helmut und ich, wir gehören zusammen, daran wird sich nichts ändern, gar nichts! Wir sind wie die Sonne und der Mond, unsere Leben sind untrennbar miteinander verwoben. Kein Grund, sich Sorgen zu machen. Alles wird gut, du wirst schon sehen.«
Sie würde für die Liebe brennen, und wenn es sein musste, auch für die Liebe sterben. Was machten da ein paar dumme Bemerkungen aus? Brennen für die Liebe … Leidenschaftlich, ohne Rotz an der Nase und ohne verheulte Augen. Das hatte die Sternenfee ihr versprochen, aber davon wusste Mutter natürlich nichts.
12
Die nächsten Tage verliefen so turbulent, dass Hannah bald nicht mehr wusste, wo ihr der Kopf stand.
Gottlieb Kerner lud sie hochoffiziell nach Hause ein, damit Wilhelmine ihre zukünftige Schwiegertochter kennen lernen konnte. Helmuts Schwester Marianne war mit ihrem Mann ob des drohenden Skandals vorzeitig nach Reutlingen abgereist, so dass bei Hannahs Antrittsbesuch außer den alten Kerners,Helmut und Valentin nur noch Helmuts Tante Finchen, die Schwester von Wilhelmine, anwesend war. Die Stimmung war gedrückt, alle Anwesenden fühlten sich unwohl, keiner wusste so recht, was er sagen sollte. Zum Glück gab es genügend Dinge, die besprochen werden wollten – Hannah wusste ja noch nicht einmal, wo die Hochzeitsfeier stattfinden sollte, geschweige denn, wer alles eingeladen war! Dass die ursprüngliche Gästeliste dieselbe blieb, mutete sie seltsam an, aber das war gewiss nicht die einzige Seltsamkeit in dieser ganzen Angelegenheit, sagte sie sich. Natürlich schrieb sie ihren Eltern – in einem separaten Schreiben bat sie ihre Mutter, dem Vater die ganze Sache zu erklären – und lud sie ebenfalls ein. Ohne große Hoffnung allerdings. Sie vermochte sich nicht vorzustellen, dass die Eltern den »Goldenen Anker« so kurzfristig für ein paar Tage schließen konnten. Daher bat Hannah ihre Mutter im selben Schreiben, sie möge ihre Sachen nach Gönningen schicken. Viel besaß sie nicht: ein paar Kleider, eine kleine Aussteuer, Krimskrams, an dem sie besonders hing. Für Helmut und sie würde ein Zimmer geräumt werden, hatte Wilhelmine ihr mit eisiger Miene erklärt. Hannah hatte vor, die Kammer
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