Die Samenhändlerin (German Edition)
so gemütlich wie möglich zu gestalten.
Nach ihrem Antrittsbesuch im Hause Kerner folgten viele weitere: Helmut schleppte sie förmlich von Haustür zu Haustür. So viele Gesichter! So viele Namen! Viele Familien trugen denselben Namen, ja, in manchen Familien lauteten sogar Vor- und Nachnamen genauso wie beim Nachbarn. Doch jedes Mal, wenn Hannah ansetzte, Helmut nach dem Grund für diese Namensgleichheit zu fragen, waren sie schon an der nächsten Haustür angelangt, und es galt, sich neue Namen und Gesichter zu merken. In jedem Haus wurde Hannah so neugierig beäugt wie eine Mondkuh. Mal fiel die Begrüßung herzlich aus, mal reservierter. Alles in allem war Hannah damit zufrieden. Wer konnte den Leuten verübeln, dass sie ihr nichtfreudestrahlend um den Hals fielen, wo sie doch einer der ihren – Seraphine – so viel Leid gebracht hatte? Um ein Haus machten sie allerdings einen großen Bogen: um das der Familie Schwarz. Doch als sie eines der Nachbarhäuser besuchten, sahen sie Valentin, der sich drüben gerade von Seraphine verabschiedete. Beide starrten recht feindselig zu ihnen herüber. Was hatte ihr zukünftiger Schwager wohl bei Seraphine gemacht?, fragte sich Hannah. Hetzte Valentin womöglich hinter ihrem Rücken gegen sie? Oder war es reine Menschenfreundlichkeit, die ihn zu der verschmähten Braut hatte gehen lassen? Hannah glaubte eher an Letzteres. Valentin war ein liebenswerter Kerl, dem sie eigentlich nichts Böses zutraute.
Natürlich musste auch der Pfarrer besucht werden – mehrmals. Auch er war von der Entwicklung der Dinge nicht sonderlich angetan. Hannah glaubte genau zu spüren, was der Mann von ihr hielt: Für ihn war sie eine dahergelaufene Schlampe. Wie er ihren Bauch anstarrte – als ob er den Bastard darin förmlich sehen konnte! Sie hatte die Zähne zusammengebissen und Helmut das Reden überlassen. Mit welchen Argumenten er oder sein Vater dem Pfarrer Helmuts plötzlichen Wankelmut erklärt hatte, oder ob sie ihm womöglich reinen Wein eingeschenkt hatten – Hannah wollte es gar nicht wissen.
Dann musste mit dem Wirt des ausrichtenden Gasthauses die Speisenfolge besprochen werden. Hannah hatte darauf bestanden, ihren Gästen wenigstens eine fränkische Spezialität – Kartoffelklöße und Schweinsbraten – anzubieten. Weder der Wirt, der noch nie in seinem Leben Kartoffelklöße zubereitet hatte, noch Wilhelmine, die die Speisen schon Wochen zuvor mit Seraphine festgelegt hatte, waren von der Änderung angetan. Doch in diesem Punkt blieb Hannah störrisch. Wenigstens irgendetwas an dem Fest wollte sie mitbestimmen. Schließlich war es ihre Hochzeit! Und so stand sie einen Tag später in der Wirtshausküche und zeigte dem Wirt, wie man Knödel machte.Am selben Tag fuhren Helmut und sein Vater nach Reutlingen, um sich beim Advokaten über die rechtliche Seite der aufgelösten Verlobung kundig zu machen. Beide kamen verstimmt von diesem Ausflug zurück, und erst nach einigen Gläsern Wein in der »Sonne« erlangte Helmut seinen alten Frohsinn wieder. Hannah atmete auf.
Als es am Hochzeitsmorgen an Hannahs Tür klopfte, lag sie noch im Bett. »Egal, was es ist, es hat auch später noch Zeit«, knurrte sie unwillig in Richtung Tür und vergrub ihr Gesicht wieder in dem Kissen. Von Tag zu Tag kam sie schwerer aus den Federn, sie war eine regelrechte Langschläferin geworden, und das, obwohl sie zu Hause jeden Morgen um fünf hatte auf den Beinen sein müssen.
»Was ich vorhabe, kann nicht warten!« Zusammen mit Helmut kam ein Schwall kalte Winterluft ins Zimmer. Mit einem Ruck lag die Bettdecke auf dem Boden. Hannah schrie auf. Was wollte er hier? Darauf bedacht, ihre Beine nicht noch weiter zu entblößen, hangelte sie nach der Decke.
»Wer weiß, wann das Wetter wieder einmal so gut ist! Das müssen wir einfach ausnutzen. Los, zieh dir was über, ich warte so lange unten bei Emma. Stiefel, Jacke, ein Schal für den Kopf – zieh am besten alles an, was du dahast. Dort, wo ich dich hinführen werde, ist’s ordentlich frisch.«
Wie er lachte! So fröhlich und frei! Wie ein verliebter Bursche und nicht wie einer, der gerade zum Heiraten gezwungen wurde. So groß kann die Liebe zu dieser Seraphine nicht gewesen sein, ging es Hannah zum wiederholten Male durch den Kopf. »Sie hat es gefasst aufgenommen«, war Helmuts einziger Kommentar gewesen, als sie ihn nach dem Gespräch zwischen ihm und Seraphine befragt hatte. Gefasst – nun ja. Wie die andere so viel
Weitere Kostenlose Bücher