Die Samenhändlerin (German Edition)
Malutensilien auf dem kleinen Tischchen hinten im Garten ausgebreitet. Hin und wieder rieselte eine Apfelblüte auf das vor ihr liegende Blatt Papier. Manchmal trug auch der laue Wind eine Wolke aus gelbem Blütenstaub vorbei, so dass Seraphine schützend eine Hand über ihre Arbeit legen musste. Lieber hätte sie im Haus gearbeitet, in der Kammer, die sie und Valentin nach der Hochzeit bezogen hatten. Aber dort lief sie Gefahr, gestört zu werden.
Ständig wollte jemand etwas von ihr. Entweder sollte sie mit ins Waschhaus, ins Backhaus, dem Schwiegervater das schwarze Jackett ausbürsten, Tante Finchen die Fußnägel schneiden und und und … Überall waren Stimmen. Streng und herrisch, wenn Wilhelmine sich über etwas beklagte. Vieltönend und wichtig, wenn Gottlieb in seinem Büro Gäste empfing. Zittrig und schwach, wenn die alte Tante etwas zu sagen versuchte. Laut, schrecklich laut, wenn Hannah ihr wieherndes Gelächter von sich gab.
Hierher, in diesen hintersten Teil des Gartens, kam nur selten jemand.
Behutsam öffnete Seraphine das Kästchen mit den Wasserfarben. Sie tauchte einen Pinsel in das bereitgestellte Wasserglas, zog ihn jedoch zurück, als sie sah, wie sehr ihre Hand dabei zitterte. So konnte, so wollte sie nicht malen! Liebe sollte aus ihr fließen, wenn sie den Pinsel mit der Farbe auf dem festen Papier aufsetzte, nicht dieses schreckliche Durcheinander, das in ihrem Inneren tobte wie ein Sommersturm.
Bitte, Sternenfee, mach mich ruhig und still.
So still wie die Mauer, auf der sich erste Eidechsen in der Sonne wärmten.
So still wie die Apfelblüten, die sanft einschlafendurften, nachdem die Bienen ihre Arbeit an ihnen verrichtet hatten.
So still wie der kleine Rosenbusch, dessen Blätter in Vorfreude auf die kommende Blütenpracht silbrig glänzten.
Doch die Stille wollte nicht kommen.
Ihr neues Leben war anders. Anders, als sie es erwartet hatte. Das beschäftigte sie so sehr, dass sie nachts nicht schlafen konnte. Es ließ sie ihr Kissen zerwühlen, sich unruhig hin- und herwälzen, immer darauf bedacht, Valentin nicht zu wecken, weil er sie sonst mit seiner Besorgnis erdrücken würde. »Fühlst du dich unwohl?« »Ist dir zu warm?« »Ist dir zu kalt?« »Soll ich dir einen Becher Milch holen?« – solche Fragen waren das Letzte, was sie brauchte. Ruhe – Zeit zum Nachdenken, das war es, was sie wollte. Und davon gab es immer zu wenig.
Mit leerem Blick starrte Seraphine auf die Trockenmauer, die den Garten von dem des Nachbarhauses trennte.
Ihre Träume waren verschwunden. Die Sternenfee war verschwunden.
Vertrieben, in die Flucht geschlagen. Von der lauten, umtriebigen Familie. Von der schrecklichen Hannah.
Von Valentin, der sie mit seinen Blicken verfolgte, der sie fragte, ob sie genug gegessen habe und ob ihr warm genug sei, der sie mit seiner Fürsorge fast in den Wahnsinn trieb. Warum konnte er sie nicht einfach in Ruhe lassen?
Ihre Träume, der Traum vom Glück mit Helmut – manchmal fiel es Seraphine schwer, die Erinnerung daran heraufzubeschwören.
Mutlos tauchte sie den Pinsel zuerst in Gelb und dann in Rot. Mit dem daraus entstandenen Orange begann sie, die Aster, die sie zuvor mit Bleistift skizziert hatte, zu schattieren. Trotz ihrer Niedergeschlagenheit wurde ihre Hand mit jedem Pinselstrich sicherer. Wie die Blüte geradezu von innen heraus glühte!
Adonisröschen, Begonien, Sommerphlox, Petunien – ihre Sammlung an Blumen wies mindestens schon 20 Blätter auf, und sie hatte vor, mindestens nochmal so viele zu malen. Blumensamen war im Gegensatz zu Gemüsesamen nicht immer leicht zu verkaufen. Bohnen und Rüben konnte man essen – Herbstastern oder Margeriten versprachen lediglich einen Augenschmaus, für den nicht jeder bereitwillig Geld ausgab. Ihr Musterbuch würde dabei helfen!
Im Geist stellte sich Seraphine vor, wie Helmut bei seiner nächsten Reise das Musterbuch, an dem sie seit Wochen arbeitete, aus seiner Tasche holen und stolz einem Kunden präsentieren würde. Kein anderer Samenhändler konnte so etwas vorweisen! Die schönen, bunten Bilder würden die Leute sicher zu viel größeren Käufen animieren, als es allein der Anblick von langweiligem Saatgut vermochte.
Nachdem Seraphine die Blüten vollendet hatte, begann sie, die fransigen Blätter auszumalen.
Jeden Tag würde Helmut etwas von ihr in den Händen halten. Beim Durchblättern des Buches würde er wissen, dass jeder Pinselstrich, jede noch so feine Linie mit Liebe gezogen
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