Die Samenhändlerin (German Edition)
Spülbecken aus nickte Wilhelmine zustimmend. »Das war schon immer so. Die Ernte findet dann zwar etwas später statt, aber jetzt ist der Boden schon einigermaßen erwärmt, das tut den Kartoffeln gut.«
Hannah biss sich auf die Lippen. Andere Gönninger hatten ihre Kartoffeln längst gesetzt – das hatte sie mit eigenen Augen gesehen. Sie streichelte ihren dicken Bauch und seufzte. Vor ein paar Wochen wäre sie noch wesentlich behänder gewesen – heute würde ihr die Arbeit auf dem Feld bestimmt nicht mehr so leicht fallen. Aber wenn das schon immer so gewesen war …
»Jetzt mach nicht so ein sauertöpfisches Gesicht, meine Schöne. Am Ende kommt unser Kind mit der gleichen Miene zur Welt!« Helmut lachte und versetzte ihr einen liebevollen Schubs.
Hannah zwang sich zu einem Lächeln. »Und ich darf wirklich ein eigenes Beet anlegen, mit allem, was die Samenstube zu bieten hat?«
»Wenn’s dir so wichtig ist«, antwortete Helmutschulterzuckend. »Nötig wäre es nicht, das weißt du ja. Wir bauen genügend von allem an. Aber irgendwo wird sich schon ein Plätzchen für Hannahs Acker finden.«
»Hannahs Acker« – wer hätte vor einem Jahr gedacht, dass sie noch zu einer richtigen Bäuerin werden würde! Wenn sie das ihrer Mutter schriebe … Der Gedanke brachte Hannahs gute Laune zurück. Geräuschvoll nahm sie einen letzten Schluck Kaffee und verdrehte dabei genießerisch die Augen. Die Brüder hatten neben einem guten Batzen Geld auch allerlei Leckereien, darunter feinsten gerösteten Bohnenkaffee, mitgebracht.
»Ich finde es gut, was du vorhast.« Valentin, dem ihr verzücktes Gesicht nicht entgangen war, schenkte ihre Tasse erneut voll. »Irgendwie ist es doch ein Wunder: Da steckt man so ein winziges Samenkorn in den Boden, gießt es ein wenig, und Wochen später zieht man an derselben Stelle eine Rübe aus der Erde! Und wenn man wie du aus der Stadt kommt, ist es umso wichtiger, dieses Wunder zu erfahren.« Er ergriff Seraphines Hand. »Warum hilfst du Hannah nicht ein wenig beim Pflanzen?«
Ohne zu antworten, zog Seraphine ihre Hand weg.
»Das Wunder des Samenkorns – jetzt werd mal nicht philosophisch!«, neckte Helmut. »Hannah erfährt dieses Wunder schließlich gerade am eigenen Leib.«
»Helmut!«, schrie Wilhelmine entsetzt auf. In Windeseile überzog sich ihr Gesicht mit roten Flecken.
Hannah versetzte Helmut einen kräftigen Stoß.
Seraphine saß reglos da, bleich wie ein Leintuch. »Und was passiert mit einem Samenkorn, das in zu mageren Boden gesteckt wurde? Das nicht richtig gegossen wird? Um das sich niemand kümmert? Auf welches Wunder muss dieses Pflänzchen warten?« Gedankenverloren wischte sie ein paar Brotkrümel vom Tisch.
Valentin lachte verwirrt auf, schien jedoch um eine Antwort verlegen. Auch Helmut runzelte die Stirn.
»Dieses Pflänzchen wird eingehen. Nur wer sich anpassen kann, überlebt. Das war schon immer so, nicht wahr, Schwiegermutter?«, sagte Hannah zuckersüß. Seraphine und ihre seltsamen Bemerkungen konnten ihr heute gestohlen bleiben!
Alle anderen waren so gut gelaunt, waren so zufrieden mit sich und ihrem Leben – einen besseren Zeitpunkt, um zu erzählen, was ihr durch den Kopf spukte, konnte es nicht geben. Hannah holte tief Luft.
»Ich wollte euch schon lange etwas fragen.« Erwartungsvoll schaute sie in die Runde und fixierte anschließend die Männer mit ihrem Blick. »Warum haltet ihr es nicht wie Emma Steiner, die im Herbst Bestellzettel an ihre Kunden verschickt? Sie erspart sich eine ganze Reise und muss erst im Januar losziehen, um die Bestellungen auszuliefern. Also, ich finde, diese Methode hat durchaus etwas für sich!«
»Ich muss jetzt gehen, die Arbeit wartet!« Geräuschvoll rückte Gottlieb seinen Stuhl nach hinten. »Und ihr verplempert den Tag hoffentlich auch nicht mehr lange mit nutzlosen Reden!«
Zähneknirschend starrte Hannah ihrem Schwiegervater nach. Einfach aufzustehen und ihr nicht einmal eine Antwort zu geben! Sie ließ ihr Brot sinken und schaute Helmut an. Doch es war Valentin, der zuerst antwortete.
»Emmas Verfahren mag sich für einen Neuling im Geschäft im ersten Moment vielleicht verführerisch anhören, aber es ist für die meisten einfach nicht durchführbar. Sonst hätten andere Gönninger es doch längst übernommen! Emmas ›feine‹ Kundschaft rund um Schwäbisch Hall mag ja vielleicht lesen können, aber viele von unseren Kunden können weder schreiben noch lesen – was sollen die mit einem
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