Die Samenhändlerin (German Edition)
Bestellzettel anfangen? Und selbst wenn sie es könnten, hätte ich Angst, dass sie viel zu wenig aufschreiben oder die falschen Sorten ankreuzen.Und da ist noch etwas: Briefe können auch verloren gehen – das passiert zwar nur selten, aber es passiert!« Er schüttelte den Kopf. »Neue Ideen sind gut, aber sie müssen auch machbar sein und …«
»Und denk doch nur an den riesigen Aufwand!«, mischte sich Seraphine zum ersten Mal ein. »Irgendjemand muss die Bestellzettel schreiben! Bei den unzähligen Sorten, die die Samenhändler im Sortiment haben, ist das kein Vergnügen. Und wie willst du sie vervielfältigen? Bei euch in der Stadt gibt es vielleicht eine Druckerei an jeder Ecke, bei uns auf dem Land suchst du danach vergeblich. Das bedeutet, die Frauen müssen Hunderte von Listen schreiben! Und Papier ist teuer, das merke ich immer wieder, wenn ich einen neuen Zeichenblock brauche. Mit Papier muss man geizen!«
»Aber –«, hob Hannah an, wurde jedoch gleich von Helmut unterbrochen.
»Ein Stück Papier soll den Besuch des Samenhändlers ersetzen – nie und nimmer! Was glaubst du, wie froh die Leute sind, wenn wir kommen«, sagte Helmut. »In manche der Landstriche, die wir bereisen, verirrt sich nur selten ein Fremder. Dort gibt es keine Markttage oder gar eine Zeitung, aus der die Leute Neuigkeiten erfahren. Deshalb können sie unseren Besuch oft kaum erwarten! Sie fragen uns Löcher in den Bauch, wollen alles ganz genau wissen. Und sie wollen selbst erzählen. Wenn wir gemeinsam am Tisch sitzen, wird nicht nur über die Bestellung geredet, sondern auch über die letzte Ernte, über die Neuigkeiten im Dorf, den Ärger mit dem Nachbarn, über alles Mögliche eben! Das gehört dazu, verstehst du?«
Valentin lachte. »Als guter Verkäufer überredest du den Kunden natürlich auch immer dazu, ein bisschen mehr zu nehmen. Oder du ermutigst ihn, einmal eine neue Sorte zu probieren. Auf diese Art kommen viel größere Bestellmengen zusammen, als wenn wir die Entscheidung allein dem Kundenüberließen. Oje, das wäre eine traurige Art, Geschäfte abzuwickeln!«
»Außerdem war es schon immer so, dass im Herbst Bestellungen aufgenommen und diese im Frühjahr ausgeliefert wurden. Das ist nun einmal der Rhythmus, nach dem wir alle leben. Aber eine Auswärtige wie du kann das natürlich nicht wissen«, fügte Seraphine mit einer Stimme hinzu, die an einzelne Nadelstiche erinnerte. »Ich kann gut verstehen, dass es dich immer wieder hinauszieht. Ein Mann wie du muss unter die Leute«, sagte sie, an Helmut gewandt, ihre Stimme nun cremig wie Honig. »Was du den Menschen zu geben vermagst, ist doch viel mehr als nur Sämereien!«
Dumme Kuh! Es war widerlich, wie sie Helmut schmeichelte! Hannah schüttelte den Kopf, als wolle sie eine lästige Fliege vertreiben. Gleichzeitig arbeitete ihr Verstand fieberhaft.
Der persönliche Kontakt zum Kunden – aus dieser Warte hatte sie die Sache gar nicht betrachtet. Andererseits sahen Emma und Käthe nicht so aus, als würde es ihnen an persönlichen Kontakten mangeln, wenn sie nur einmal auf die Reise gingen, ganz im Gegenteil: Wie sie sich auf die Salzbaronin gefreut hatten!
Krampfhaft überlegte Hannah, was sie als Nächstes sagen sollte. Sie wollte von der Idee, im kommenden Jahr nur noch halb so lange von ihrem Mann getrennt zu sein, trotz aller Gegenargumente noch nicht Abschied nehmen.
Sie trank einen Schluck Kaffee.
»Der Besuch im Herbst ist wichtig, das leuchtet mir jetzt ein. Aber Anfang des Jahres nochmals dieselbe Route zu reisen?« Sie runzelte nachdenklich die Stirn. Irgendwo, weit hinten in ihrem Kopf, rumorte ein Gedanke. Ein wichtiger Gedanke, ein guter Gedanke, es musste ihr lediglich gelingen, ihn nach vorn zu holen.
»Kind, das haben die Männer dir doch gerade lang und breiterklärt«, kam es kopfschüttelnd von Wilhelmine. »So schwierig ist das doch nicht zu verstehen.« Sie und Seraphine tauschten einen Blick.
»Wenn ihr das zweite Mal loszieht, schickt ihr doch eure Ware mit dem Pferdewagen schon voraus, oder?«, wandte sich Hannah wieder an Helmut, ohne sich um ihre Schwiegermutter zu kümmern.
Helmut verzog das Gesicht, als habe er auf etwas Saures gebissen. »Das weißt du doch längst. Der Pferdewagen oder die Bahn bringt unsere gesamte Ware in eine Herberge, die so zentral wie möglich im jeweiligen Samenstrich liegt. Dort nehmen wir die Ware in Empfang, packen die einzelnen Bestellungen in Tütchen ab und liefern diese dann Tag
Weitere Kostenlose Bücher