Die Samenhändlerin (German Edition)
worden war. Er würde in Gedanken bei ihr sein, so wie sie jeden Tag an ihn denken würde.
Abrupt hielt Seraphine mitten im Pinselstrich inne.
So weit war es gekommen! Da saß sie hier, mitten im Mai, und wünschte sich Helmuts Abreise im kommenden Herbst herbei! Weil er dann an sie denken konnte. Sie seufzte tief auf. Dafür hatte sie Valentin weiß Gott nicht geheiratet. Nahe hatte sie Helmut dadurch sein wollen, ganz nahe! Stattdessen fühlte sie sich ihm heute manchmal ferner als je zuvor. Kaum einmal war sie eine Minute mit ihm allein. Immer drängelte sich jemand zwischen sie, ja, manchmal hatte Seraphine den Eindruck, als wollten die anderen ein Zusammensein zwischen ihr und Helmut unter allen Umständen verhindern. Wann immersie ihm in die Packstube folgte, um wenigstens ein paar Minuten mit ihm allein sein zu können, stand im nächsten Moment entweder Valentin hinter ihr oder Wilhelmine. Nur Hannah war es scheinbar gleich, wie viel Zeit sie mit Helmut verbrachte. Aber Hannah war dumm. Oder traf etwa das Gegenteil zu? War sie so schlau zu erkennen, dass Helmut und Seraphine ein unzertrennbares, unsichtbares Band verknüpfte?
Bei diesem Gedanken umspielte ein Lächeln ihre feinen Züge. Auch die anderen spürten wohl dieses enge Band, das zwischen ihnen beiden noch immer bestand, sonst würden sie nicht ständig versuchen, sie auseinander zu halten.
Wenn dieses Leben nur nicht so anstrengend wäre! Es kostete so viel Kraft, oft war sie so müde vor lauter Wut und Traurigkeit.
Diese wichtigtuerische Hannah! Wie sie immer wieder das Gespräch an sich riss und dann Helmut zu Antworten drängte! Der Arme konnte nicht einmal in Ruhe frühstücken. Und dann ständig diese sonderbaren Einfälle! Ware per Post zu verschicken – ha, das war sogar dem Schwiegervater zu viel geworden. Aber warum wies er das Weib nicht einfach in seine Grenzen?
»Bist eine ganz Fleißige«, äffte sie ihn leise nach. Fleißig dabei, sich ein Kind machen zu lassen, vielleicht! Fleißig, einen Mann in die Falle zu locken. Seraphine schnaubte. Wie selbstgefällig Hannah ihren dicken Bauch vor sich herschob! Und Essen stopfte sie in sich hinein, als wenn’s kein Morgen mehr gäbe. Immer dicker wurde der Bauch, damit nur ja keiner ihn übersah. Und statt sich im Haus aufzuhalten, musste sie ihre Fülle überall präsentieren, sogar auf dem Acker! Im Geist sah Seraphine Hannah vor sich, wie sie mit ihren aufgeschwemmten Fingern in der Erde wühlte und Bäuerin spielte. Als ob sie damit Helmut beeindrucken konnte!
Und an Valentin mochte sie auch nicht denken. »Ich findees gut, dass du dem Wunder des Lebens nachspürst …« So poetisch war er ihr gegenüber noch nie gewesen.
Seraphine wusch den Pinsel in einem Wasserglas aus, wählte dann den helleren der beiden Grüntöne und arbeitete damit an den Stängeln der Astern. Mitten im Pinselstrich hielt sie inne.
War sie nicht auch wie ein zartes Pflänzchen, das man in allzu kargen Boden gesetzt hatte? Sogar hier, in diesem schönen Haus? Wer war für sie da? Wer hatte Zeit, sich um sie zu kümmern, wo ständig Hannah mit ihrem lauten Lachen, ihren dummen Ideen jede Aufmerksamkeit auf sich zog? Wo –
»Ach, hier bist du!«
Seraphine schrak zusammen. Ein Schatten fiel auf sie.
Valentin. Der Pinsel wischte über den gezackten Rand des Grüns hinweg. Sie verzog unwillig den Mund.
»Was willst du?«
»Hannah hat die Kohlrabipflänzchen vergessen.« Er zeigte auf die Pflanzschale in seiner Hand.
Hannah, Hannah, Hannah – sogar ihr eigener Mann sprang, wenn sie pfiff!
»Was man nicht im Kopf hat, hat man in den Beinen«, murmelte Seraphine.
»Und du?« Lächelnd hob Valentin ihr Kinn. »Ich dachte, du bist bei deiner Mutter. Meinst du nicht, sie würde sich freuen, dich wieder einmal zu sehen? Seit Ewigkeiten hast du sie nicht mehr besucht.«
»Mutter – die hat mich doch längst vergessen.« Die meiste Zeit vermied Seraphine es, an ihr früheres Zuhause zu denken. Gottlieb Kerner hatte ihrer Mutter auf Lebzeiten ein kostenloses Wohnrecht in der kleinen Hütte eingeräumt und ihr die Schulden, die Friedhelm vor seiner letzten Reise gemacht hatte, erlassen. Nun saß sie wie die Made im Speck zwischen ihren Näharbeiten. Ja, durch Seraphines Hochzeit waren für Else Schwarz gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagenworden: Die drohende Armut war abgewendet, und die Tochter war sie ebenfalls los!
»Du bist ihre einzige Verwandte hier in Gönningen. Die Leute reden schon
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