Die Samuraiprinzessin - Der Spiegel der Göttin: Band 1 (German Edition)
ich mir wie im Traum von meiner Mutter vorkam. Nur dass sie mir nicht erschien und ich allein blieb auf der Weide, die mehr und mehr einer verblassten Tuschezeichnung ähnelte.
Hiroshi ließ sich noch immer nicht blicken. Was, wenn die Schattenkrieger ihn getötet hatten? Und war Takeshi noch am Leben?
So einsam wie in diesem Augenblick hatte ich mich schon lange nicht mehr gefühlt.
Ein Rascheln ließ mich zusammenzucken. Blitzschnell drehte ich mich um, sah aber nur einen Fuchs, der gebeugt über die Weide lief. Als er mich bemerkte, hielt er inne und fixierte mich mit seinen goldenen Augen. Da er mich aber nicht als Gefahr ansah, setzte er kurz darauf seinen Weg fort.
Als ich mich wieder dem Wald zuwandte, erschien vor mir eine dunkle Gestalt. Unwillkürlich erinnerte sie mich an den Diener Enmas, der mir vor vielen Monden erschienen war. Erschrocken fuhr ich auf und griff nach meiner Naginata. Da erkannte ich, dass es Hiroshi war.
»Sensei, Ihr seid zurück!«, rief ich freudig aus und lief zu ihm.
Als ich seine Augen sah, erstarrte ich. Sie wirkten so dunkel, als hätte er an ihrer Stelle nur zwei schwarze Löcher.
»Komm mit«, sagte er und eilte mit langen Schritten an mir vorbei.
»Hiroshi-san, was ist geschehen?«, fragte ich, doch er hörte nicht. Wenn ich etwas wissen wollte, musste ich ihm folgen.
So gelangte ich über den schmalen Felsenweg zu einem kleinen Wasserfall. Das Wasser stürzte dermaßen laut in die Tiefe, dass ich fürchtete, kein Wort von dem verstehen zu können, was mein Lehrmeister mir sagen würde.
Zufrieden nahm Hiroshi zur Kenntnis, dass ich ihm gefolgt war, und drückte mir wortlos eine Schriftrolle in die Hand. Bereits als ich sie öffnete, war mir klar, dass ich einen Großteil der Kanji nicht verstand, weil die Mönche sie mich noch nicht gelehrt hatten.
»Was hat das zu bedeuten?«
»Erinnerst du dich an die Prophezeiung?«, fragte Hiroshi, wobei seine Augen mich fixierten. »An das, was der Diener Enmas zu dir gesprochen hat über die Throninsignien?«
Meine Kehle schnürte sich zu. »Woher … «
Ein ungeduldiges Zucken in Hiroshis Gesicht brachte mich zum Schweigen. Seine Frage beantwortete ich also mit einem Nicken.
»Auch die Taira kennen die Geschichte über die Throninsignien. Sie spüren, dass die Herrschaft des Kaisers vergeht, und sie wollen unbedingt die Position des Kindkaisers Antoku stärken, den sie nach ihrem Willen beeinflussen können. Wer den Kaiser in seine Gewalt bekommt, wird über das Land herrschen. Doch das Kind wäre ein schwacher Kaiser, also brauchen sie etwas, um seine Herrschaft zu sichern. Und wenn der junge Kaiser über alle Insignien der Macht verfügt … «
»… dann wäre sein Anspruch zu herrschen untermauert.«
»Du bist ja doch nicht so dumm, wie ich gedacht habe«, entgegnete Hiroshi lachend.
»Aber bedeutet das nicht, dass jeder, der die Insignien besitzt, Kaiser werden kann?«
»Natürlich nicht, man muss auch seine Herkunft nachweisen können. Aber die Minamoto haben, wie du weißt, kaiserliches Blut, ebenso wie die Taira. Über die Jahrhunderte hat es viele Söhne gegeben. Also hätten sehr viele Männer in diesem Land Anspruch auf den Chrysanthementhron. Glaube mir, zahlreiche Kriegsherren warten nur auf eine passende Gelegenheit.«
»Und was können wir tun?«
»Die Schattenkrieger sind der Meinung, dass das Kloster Kunde davon hat, wo sich der Spiegel der Göttin befinden könnte. Kennst du die Geschichte von Amaterasu?«
Ich schüttelte den Kopf, worauf Hiroshi ungehalten schnaufte. »Es ist wirklich ein Jammer, dass du die Prophezeiung nicht ernster genommen hast. An deiner Stelle hätte gewiss jeder Krieger versucht, etwas über die Dinge, nach denen er suchen soll, herauszufinden. Du jedoch, obwohl du in diesem Kloster Zugang zum Wissen hast, lebst in den Tag hinein und stellst kleine Belange über die wirklich wichtigen.«
Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. Hätte ich jemandem von der Prophezeiung erzählen sollen? Hätte ich Takeshi ansprechen und fragen sollen, wo die Insignien zu finden sind – und welche Geschichte sich hinter ihnen verbarg?
»Du bist Enmas Diener, nicht wahr?«, platzte ich heraus. Mein Eindruck vorhin, ihn zu sehen, musste richtig gewesen sein. »Der Totengeist, der mir die Prophezeiung überbracht hat!«
Im nächsten Moment wurde mir klar, dass ich gerade nicht mehr die höfliche Anrede für Hiroshi verwendet hatte. Als ich mich dafür entschuldigen wollte, winkte er
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