Die Samuraiprinzessin - Der Spiegel der Göttin: Band 1 (German Edition)
ab.
»Wir brauchen hier keine Förmlichkeiten mehr«, sagte er. »Seit wann weißt du es?«
»Eigentlich erst seit jetzt«, antwortete ich ehrlich, denn ich war bisher tatsächlich davon ausgegangen, dass er ein Mensch war.
Hiroshi zog sich die Handschuhe aus und betrachtete seine Hände, als seien sie etwas vollkommen Fremdes.
»Der Körper, in dem ich wohne, gehörte einst einem jungen Kriegermönch aus diesem Kloster, der in der Schlacht schwer verwundet wurde. Ein Speer traf ihn in die Schulter und durchbohrte sein Herz.«
Daher also die schlecht verheilte Schulternarbe, die ich beim Bogenschießen an ihm gesehen hatte! Ich hatte mich insgeheim schon gefragt, warum sie niemals richtig verheilte.
»Als ich über dem Feld schwebte, sah ich ihn und sagte mir, dass die Götter solch eine Verschwendung sicher nicht gutheißen würden – zumal sie und König Enma mir bereits offenbart hatten, welche Absichten sie hegten.«
»Und warum haben sie gerade dich geschickt? Warum hattest du keinen Menschenkörper, als du mich angesprochen hast?«
»Du stellst sehr viele Fragen, Tomoe-chan. Fragen, deren Antworten dein Verständnis jetzt vielleicht noch übersteigen.«
»Wie könnten die Antworten mein Verständnis übersteigen?«, fuhr ich ihn an, zornig darüber, dass er mich immer noch für dumm hielt. »Es sind doch nur zwei einfache Fragen!«
Hiroshi lenkte ein. »Dann werde ich sie einfach und ohne lange Erklärungen beantworten. Sie haben mich geschickt, weil Krieg und Tod unmittelbar zusammenhängen und sie wissen, dass der Friede in der jetzigen Situation nicht ohne Krieg kommen kann.« Seine Stimme klang beinahe so dröhnend wie damals im Wald. »Und meinen Menschenkörper hatte ich damals noch nicht. Ich habe ihn mir erst danach genommen und dann alles getan, um dich zu treffen.«
»Aber woher wusstest du, dass ich in diesem Wald war, in dem die Mönche mich angetroffen hatten?«
»Ich bin der Diener eines Gottes, das habe ich dir doch erklärt. Und eigentlich müsste ich dich bestrafen wegen deines Ungehorsams und deiner Frechheit, mich zu unterbrechen.«
Tu’s doch!, hätte ich ihm am liebsten zugerufen. Wenn ich tot war, wer sollte dann nach den Insignien suchen?
Doch ich presste meine Lippen aufeinander, ich wollte es nicht darauf ankommen lassen.
»Zum Spiegel der Göttin Amaterasu gibt es Folgendes zu sagen«, fuhr er fort. »Zu Anbeginn der Zeit entweihte Susanoo, der Bruder von Amaterasu, ihr Haus, indem er ein totes Pferd in die Webhalle warf und dann eine ihrer Dienerinnen tötete. Außer sich vor Zorn über diese Tat verschwand Amaterasu in einer Höhle – auf der Welt wurde es daraufhin dunkel. Die anderen Götter versuchten nun, sie wieder herauszulocken. Zu dem Zweck stellten sie einen Spiegel auf und veranstalteten draußen einen großen Lärm. Als Amaterasu nach draußen trat, um nach der Ursache zu sehen, erkannte sie sich selbst im Spiegel nicht und wollte gegen ihr Abbild kämpfen. Derweil versperrten die anderen Götter ihr den Weg in die Höhle, und so musste sie draußen bleiben.«
Ich musste zugeben, auch wenn Hiroshi sie ein wenig ungelenk erzählt hatte, war es doch eine schöne Geschichte.
»Und was ist mit dem Bruder passiert? Er war doch immerhin die Quelle dieses Unheils.«
»Susanoo wurde auf die Erde verbannt, wo er die Herrschaft über den Wind und das Meer übernahm. Er soll auch ein Herrschergeschlecht begründet haben, dessen Nachfahrin mit Amaterasus Enkel verheiratet wurden. Die Kinder aus dieser Verbindung sind die Ahnen unserer heutigen Tenno.«
»Und warum soll denn so ein einfaches Ding wie ein Spiegel Macht verleihen?«
»Du hast mir wohl nicht zugehört, wie? Ich erzählte doch, dass Amaterasu glaubte, in dem Spiegel eine Feindin zu sehen.«
Ja, das hatte ich gehört. Und ich fand es ziemlich töricht, denn selbst kleine Menschenkinder erkannten ihr Abbild bereits im Spiegel.
»Du kannst mich für dumm halten«, entgegnete ich, denn ich wollte Hiroshi nicht noch mehr verärgern. »Aber für mich ergibt das keinen Sinn.«
»Es hat einen ganz einfachen Sinn. Dank dieses Spiegels soll der Kaiser Täuschungen erkennen können.«
»Also, ob seine Höflinge lügen oder ihn betrügen wollen?«
»So ist es. Eine ähnliche Fähigkeit hat jedes dieser Artefakte. Das Juwel des Wassers beschert ewigen Reichtum, das Schwert der Schlange macht unbesiegbar.«
»Dagegen erscheint die Fähigkeit des Spiegels recht schwach.«
»Aber sie ist sehr wichtig, damit
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