Die Samuraiprinzessin - Der Spiegel der Göttin: Band 1 (German Edition)
man Verbündete oder Feinde erkennen kann. Du wirst die Erfahrung machen, dass Menschen nicht immer die Wahrheit sprechen. Hinter einem Lächeln kann sich eine böse Absicht verbergen, hinter einem guten Wort eine Intrige. Die Welt der Höflinge ist sehr verworren und gefährlich. Ein wahres Wort, eine wahre Absicht zu finden ist schwieriger, als in einem Haufen Reisstroh eine Nadel aufzuspüren.«
Er sprach, als hätte er schon viele Jahre am Hof gelebt. Mir jedoch war diese Welt vollkommen fremd, auch wenn ich mir vorstellen konnte, dass die Adeligen unehrlicher waren als Bauern.
»Woher willst du das wissen?«
»Der Körper, in dem ich stecke, hat mir einiges von seinem Wissen übertragen. Er war der Sohn eines Höflings und kannte die Intrigen, denen sein Vater ausgesetzt war. Außerdem sind schon zahlreiche Höflinge vor Enmas Gericht gekommen. Ich habe gesehen, wie sie sich durch Lügen zu verteidigen oder ihre Verfehlungen durch kluge Worte zu rechtfertigen versuchten. Du kannst dir vorstellen, dass Enma darüber sehr ungehalten war und den Schuldigen eine entsprechende Strafe angedeihen ließ.«
»Welche Strafe?«, fragte ich kleinlaut, denn wahrscheinlich hatte sich auch meine Familie vor König Enma wiedergefunden.
»Das wäre mehr, als dein Verstand ertragen könnte. Achte darauf, ein ehrliches Leben zu führen, dann wirst du sein Gericht wesentlich leichter überstehen.« Hiroshi hielt inne und sah mich beinahe besorgt an. »Und da ich ahne, warum du mich fragst, keine Sorge. Auch wenn deine Eltern und Geschwister hin und wieder eine Lüge ausgesprochen oder eine Ungerechtigkeit begangen haben, erwartet sie nicht das harte Gericht wie die Männer, die sie getötet haben. Und die schlimmste Strafe erwartet den, der diesen Mord angeordnet hat.«
»Dann erwartet diese Strafe wohl auch mich, wenn ich eines Tages jemanden töte.«
Hiroshi lächelte. »Es ist eine Sache, Unschuldige einfach abzuschlachten, und eine andere, ehrenvoll gegen einen Krieger anzutreten. Aber jetzt lassen wir besser das Reden sein. Die Taira sind nicht besonders geduldig, und wahrscheinlich versuchen sie gerade, das Wissen unseres Abtes durch Gewalt zu gewinnen.«
Es erschien mir etwas seltsam, wie Enmas Diener vom Abt sprach, denn es konnte ihm eigentlich egal sein, was aus einem Menschen wurde. Aber er sprach von Takeshi wie von einem Freund. Brachte ihn sein sterblicher Körper dazu? Machte er ihn schwach?
Zeit zu fragen hatte ich nicht, denn Hiroshi bedeutete mir, dass wir zum Kloster zurückkehren mussten.
Nachdem wir die Tore wieder durchschritten hatten, suchten wir Iwasama auf, der nun sein Amt als stellvertretender Abt eingenommen hatte.
Ihm teilten wir unser Vorhaben mit, allerdings nicht so deutlich, wie Hiroshi mir gegenüber geworden war. Ich konnte noch immer nicht glauben, dass er kein richtiger Mensch war, doch während ich schweigend neben ihm stand, setzten sich die Teile für mich allmählich zusammen. Die Wunde auf der Schulter, die Handschuhe, das seltsame Funkeln der Augen … Die Tatsache, dass er mich ausgebildet und mir mehr beigebracht hatte als den anderen. Der Mordanschlag im Dorf der Schattenkrieger …
Vor lauter Nachdenken bekam ich nicht mit, was Hiroshi mit Iwasama besprach. Erst als mein Lehrmeister mich am Ärmel zupfte, schreckte ich hoch und blickte in das besorgte Gesicht von Takeshis Stellvertreter.
Wir gingen nun in die Gebetshalle, wo noch immer die meisten unserer Brüder warteten. Hiroshi erzählte auch ihnen, was die Schattenkrieger gefordert hatten. Natürlich sagte er nichts von dem Spiegel, doch die Erwähnung eines Lösegeldes reichte aus, um Empörung hervorzurufen.
»Warum sollten wir diesen Hunden etwas bezahlen?«, wetterte Nobunaga. »Lasst uns losreiten und den Meister befreien!«
Doch diese Reden fielen bei den meisten nicht auf fruchtbaren Boden.
»Nein, lasst Hiroshi und Tomoe gehen!«, entgegnete Satoshi. »Wasser hat die Kraft, sich überall einen Weg zu bahnen. Kein Stein, kein Sand und kein Baum hält es auf. Wenn jemand das Lösegeld auftreiben kann, dann Hiroshi mit der Hilfe des Mädchens.«
Die Anspielung auf meinen Namen machte mich verlegen, aber falls die Götter recht hatten, war tatsächlich ich diejenige, die helfen konnte.
Die Mönche stimmten zu, viele wollten sich uns anschließen, doch Hiroshi lehnte die Hilfe höflich ab.
»Wir werden das Lösegeld so schnell wie möglich auftreiben«, versprach er. »Haltet ihr hier die Stellung und gebt
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