Die Samuraiprinzessin - Der Spiegel der Göttin: Band 1 (German Edition)
dazu?
»Der Spiegel der Göttin ist schon vor vielen Jahren verschwunden, man sagt, dass er sich im Palast des Drachenkönigs befindet. Ich kann nicht mehr genau sagen, ob er ihn geraubt hat oder er ihm übergeben wurde, aber ihr solltet im Korallenpalast nachsehen.«
»Und wo befindet sich dieser Palast?«, platzte ich heraus, worauf ich einen bösen Blick von Hiroshi erntete.
Die Alte lachte auf. »Ah, deine Stimme ist doch kräftiger, als ich dachte. Aber das ist gut so, du wirst sie brauchen. Der Korallenpalast befindet sich überall, wo Wasser und Land aufeinandertreffen. Einige Bereiche liegen gänzlich unter Wasser, zu anderen gibt es Zugänge vom Land her. Einmal jährlich öffnen sich diese Zugänge, weil der Drachenkönig Ryujin sein Wasserreich verlässt, um sich die Welt oberhalb anzusehen.«
»Und wann ist es wieder so weit?«, fragte Hiroshi demütig.
»Schon bald. Zumindest gilt das für den Zugang, der für euch am besten zu erreichen sein sollte. Den Biwa-See. Aber ihr müsst euch beeilen, denn lange wird sich das Tor nicht öffnen, und das nächste liegt viel weiter nördlich. Ihr würdet es unmöglich zur rechten Zeit erreichen.«
»Dann wollen wir uns so schnell wie möglich auf den Weg machen. Habt Dank.«
»Nun, die Zeit sollte noch reichen, um meine Suppe zu kosten und mir ein wenig Gesellschaft zu leisten.«
Hiroshi hatte es eilig, doch die Einladung der alten Frau auszuschlagen wäre einer Beleidigung gleichgekommen. Nachdem sie uns so guten Rat erteilt hatte, wollte Hiroshi sie nicht gegen uns aufbringen. Er verneigte sich tief vor ihr und sagte dann: »Auch dafür danken wir Euch, wir nehmen Eure Einladung sehr gern an.«
Die Suppe der Alten schmeckte vorzüglich und wärmte uns von innen wie ein Feuer. Die feuchte Kälte war mit einem Mal vergessen, und wohlige Schwere legte sich auf meine Glieder.
Hiroshi begann nun ein Gespräch mit der Alten, das sich um das Wetter und ihr Leben hier oben in der Einsamkeit drehte. Obwohl er behauptet hatte, dass diese Frau eine alte Freundin war, kamen die beiden mir nicht sonderlich vertraut vor. Eher hatte es den Anschein, als hätte Hiroshi großen Respekt vor ihr – mehr, als er jedem anderen Menschen entgegenbrachte.
Ich fragte mich, warum die Alte hier in der Einsamkeit lebte. Hatte sie keine Familie mehr? In unserem Dorf nahm man die Alten bei sich in der Familie auf und kümmerte sich bis zum Ende ihres Lebens um sie. Es sei denn, die Alten waren zu eigensinnig. Dann lebten sie allein in ihren kleinen Hütten, bis man eines Tages ihren entseelten Körper fand.
Nach einer Weile konnte ich dem Gespräch zwischen Hiroshi und der Alten nicht mehr folgen. Meine Gedanken schweiften ab, und als ich schließlich die Augen schloss und mich dem Schlaf überließ, breitete sich vor meinen Augen der Traum einer blühenden Sommerwiese aus.
Als ich am nächsten Morgen erwachte, war die alte Frau verschwunden. Überhaupt wirkte das Haus, als sei es niemals bewohnt worden. Die Feuerstelle schien schon seit Jahren erloschen, die Hauswände waren brüchig, das Reispapier an den Fenstern zerfetzt.
Ein Schauer kroch über meine Haut, als ich mich erhob, und das kam nicht von der Kälte, die im Haus herrschte. Es war, als könnte ich die Spuren eines Geistes wahrnehmen.
»Wo ist sie?«, fragte ich Hiroshi, der gerade durch die Tür trat.
»Fort«, antwortete er. »Verschwunden.«
»Bist du sicher?«
»Sieh dich doch mal um«, entgegnete er und machte eine ausladende Handbewegung. »Sieht das so aus, als würde hier noch jemand leben?«
»Aber gestern … « Ich stockte, als ich meinen Lehrmeister lächeln sah. »Die Frau war ein Geist, nicht wahr?«, fragte ich beklommen.
Hiroshi wiegte den Kopf. »Wie man es nimmt. Sie war kein Mensch, doch sie hatte auch nichts Geisterhaftes an sich. Ich kenne die Geister der Toten, diese würden sich nicht so verhalten. Eher hätten sie versucht, uns in die Irre zu führen – oder gleich zu töten.«
»Können Geister dich eigentlich erkennen? Können sie erkennen, dass du kein Mensch bist?«
»Wenn es sich um Totengeister handelt, schon. Für alle anderen bin ich nur ein Wesen, mit dem etwas nicht stimmt. Aber jetzt sollten wir von hier verschwinden. Bis zum Biwa-See reiten wir eine Weile. Und unterwegs sollten wir uns überlegen, wie wir den Zugang zum Korallenpalast finden.«
Mit langen Schritten eilte er durch den Raum und blickte sich um, als würde er nach Dingen suchen, die wir für unsere Reise
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