Die San-Diego-Mission
Stecken Sie mich in ein Streifenteam so dicht wie möglich an der Grenze. Auf diese Weise kann ich ihnen vielleicht manchmal helfen.«
»Alles klar«, nickte der Captain.
Ken Kelly sagte später: »Ich habe gehört, daß jede geistig intakte Person gelegentlich mit Selbstmordgedanken spielt. Na schön, ich gehöre zu den geistig nicht intakten Menschen, die es trotzdem nie getan haben. Ich habe nie daran gedacht, mich zu erschießen – das ist eine solche Sauerei und andre Cops müssen jede Menge Berichte drüber schreiben. Aber ein Verkehrsunfall? Nur ein paar Überstunden für einen Verkehrscop, und das ist schon alles? Keine Detectives, kein Spurensicherer, kein Versicherungsvertreter, der meint, daß sie bei Selbstmord nicht zahlen können? Ein Cop, der in seiner Freizeit mal eben ins Gras gebissen hat? Passiert doch dauernd.«
Ken Kelly hatte derartige Gedanken, als er am ersten Abend nach seiner Rückkehr zum Streifendienst mit hundert Meilen in der Stunde die I-5 runterdonnerte. Sich bloß mal eben ausmalen, wie leicht es sein könnte. Dann hatte er mit einemmal echt Angst. Er meldete sich krank. Er erschien ein paar Tage nicht zum Dienst.
»Ich war ein unglaubliches Arschloch. Danach war ich ein noch unglaublicheres Arschloch«, gestand er. »Meine Alte war noch nie so dicht davor, mich im Stich zu lassen. Meine Welt war kaputt.«
Er wußte nie, warum, aber BARF war das einzige, auf das er im Leben jemals richtig scharf gewesen war. War's das Saufen? Die Kameraderie? War es eine perverse Erregung, nachts in der Dunkelheit Barf! schreien zu können? War's die Gefahr? Hatte er doch eine weiche Birne?
In seiner Zeit bei der Air Force hatte er dutzendfach versucht, nach Vietnam zu kommen, war aber drei Jahre lang nicht aus der Mojavewüste herausgekommen. BARF war irgend etwas gewesen, das er für wichtig gehalten hatte, eine neue Art polizeilicher Tätigkeit. Obgleich er die falsche Hautfarbe hatte, war er dabeigewesen und hatte was Selbständiges gemacht. Und nun war's vorbei.
Gleich nach seiner »Krankfeierei« wurde er in das Büro des Captains gerufen. Captain Joslin sah sich den niedergeschlagenen jungen Cop an und sagte: »Sind Sie denn so scharf darauf, wieder bei BARF zu sein?«
Ken Kelly konnte nicht mal sprechen. Er konnte nur nicken und die Luft anhalten.
Der Captain sagte: »Okay, ich rede mit dem Inspector. Sie kommen wieder zurück.«
Er war wie betäubt, als er nach einwöchiger Abwesenheit in den kleinen Squadroom kam. Renee Camacho und Joe Vasquez nahmen ihn in den Arm und küßten ihn nach mexikanischer Art auf die Wange und sagten, sie würden jetzt mindestens eine Woche lang feiern.
Ken Kelly hätte um ein Haar geschluchzt und mußte sich mit dem Ärmel die Augen auswischen. Er sagte zu Dick Snider: »Lieutenant, ich wünsch mir, daß ich als ganz scharfe Puppe wieder auf die Welt komme, damit ich dem Captain zum Dank einen blasen kann!«
Dick Snider meinte, er glaube gar nicht mal, daß das unbedingt erforderlich sei. Ein simples Dankeschön reiche eigentlich völlig aus.
Mittlerweile hatten sie fast ein Jahr hinter sich. Der Sommer ging abrupter als gewöhnlich zu Ende, mit viel Regen. Und es gab nur noch sehr wenige Gangster. Manny unternahm mit ihnen einen Todesmarsch kleineren Formats, und in seinem anschließenden Tätigkeitsbericht schätzte er, daß sie ein Gebiet von zehn Quadratmeilen überprüft und die ganze Nacht nur fünfzehn illegale Grenzgänger gesehen hätten. Aber sie hatten ein Feuer gesehen. Stewart's Barn war in Flammen aufgegangen und total zerstört worden. Künftig würden sich hier nach dem Grenzübergang keine Pollos mehr verstecken. Es schien ein Omen dafür zu sein, daß sich alles änderte. Etwas Vertrautes war mit einemmal nicht mehr vorhanden. Es wurden sofort Gerüchte in Umlauf gesetzt, ein Beamter der Border Patrol habe die Scheune in Brand gesteckt.
Über den Abend des 5. Oktober schrieb Manny Lopez in sein Logbuch: »Es war ungewöhnlich ruhig, was vermutlich dem Regen zugeschrieben werden muß. Wir hatten Kontakt mit zwei Personen, die aussagten, daß sie auf mexikanischer Seite unmittelbar vor dem Übertritt in die Vereinigten Staaten beraubt worden seien. Wir bekommen in letzter Zeit immer öfter Berichte über Raubüberfälle, die unmittelbar südlich des Zaunes stattgefunden haben.«
Dem fügte Manny Lopez noch eine zynische letzte Zeile hinzu: »Ich frage mich, warum die Gangster die Grenze nicht mehr überqueren?«
Eines Abends
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