Die San-Diego-Mission
dunkeläugige Schönheit belästigen oder ein Kind sexuell attackieren sollte, gäbe es für ihn eigentlich bloß noch eine sinnvolle Handlungsweise. Er müßte schnellstens sehen, daß er den klapprigsten, dreckigsten und verqualmtesten Bus findet, der die Straßen von Tijuana unsicher macht, und an dessen Auspuff etliche ganz, ganz intensive Atemzüge nehmen, sobald die Karre an einer roten Ampel anhalten muß. Die Menge an Kohlenmonoxyd, die diese Busse ausspucken, würde ihn sicherlich töten, bevor die Ampel auf Grün springt, und ein derartiger Tod wäre bestimmt noch die humanste Lösung für ihn gewesen, bevor man ihn nach einer sexuellen Attacke auf ein Kind erwischt hätte.
Das ist sicherlich ein wesentlicher Punkt, in dem sich das Strafverfolgungswesen südlich der imaginären Linie vom amerikanischen unterscheidet, wenngleich mexikanische Cops ihren Kollegen aus San Diego seit jeher mit großer Gastfreundschaft entgegenzukommen pflegten. Jetzt allerdings sollten die Cops da unten ziemlich schnell lernen, ihre Kollegen nördlich der Linie zu hassen, zumindest die, die sich als Pollos verkleideten und nachts in den Canyons herumstiefelten.
Kurz vor der Abenddämmerung des 1. Februar brachen die Barfer wie gewöhnlich in die Canyons auf. Dick Snider, der offiziell zwar nicht mehr der Boß von BARF, aber immerhin noch Lieutenant vom Dienst bei der Southern Divison war, hatte sich zum Mitkommen entschlossen und bildete mit Robbie Hurt das Hilfsteam. Das einzige reguläre Ensemblemitglied, das Dienst hatte, war BARF-Leiter Manny Lopez, und er entschloß sich, Joe Castillo mitzunehmen. Carlos Chacon war mit Renee Camacho losgezogen.
Fred Gil war mit einem neuen Mann der Zweitbesetzung unterwegs, der den Cop ersetzen sollte, der während der BARF-Pause gekündigt hatte. Der Mann hieß Joe Vasquez. Er war ein sechsundzwanzigjähriger stämmiger Bursche mit einem großen, struppigen Kopf und kleinen Händen. Kein sehr großer Mann, der allerdings mit seinem Gesicht, das jedes Fahndungsplakat geziert hätte, wie ein großer Mann wirkte. In der Tat, als sie im Zusammenhang mit einer Serie von Raubüberfällen in der City von San Diego aushilfsweise mal zur Beschattung eines Verdächtigen eingesetzt worden waren, hatte man ihnen ein Phantombild des Täters gezeigt, der vorzugsweise Schnellimbißläden heimsuchte. Der Verdächtige war als »groß und häßlich« beschrieben worden – und sein Phantombild sah wirklich genauso aus wie Joe Vasquez, der dann ab sofort »Big Ugly« genannt wurde. Oder, wenn die Mit-Barfer mal netter gestimmt waren, »Quasimodo«.
Joe Vasquez nahm es mit Humor. Er war vom Naturell her ein Einzelgänger, keiner, der mit den Jungs dauernd rumhockte und ratschte. Keiner, der sich nach Feierabend nach einem allmählich schon manischen Ritual den Hals vollaufen ließ. Er sagte einmal, er habe nur einen einzigen engen Freund, nämlich seine Frau. Die anderen meinten, das sei ja wohl ganz schön gesponnen. Ganz bestimmt nicht typisch männlich. Eine Frau als besten Freund? Aber er war zuverlässig und tapfer. Man mußte Big Ugly einfach gern haben.
Der Wind trieb die Wolken in Fetzen vor sich her. Die Canyons bildeten ein kariertes Muster aus dämmrigem Licht, Silber und Schatten. Hergeweht vom Wind: laute, melancholische Musik aus den Radios. Das Zersplittern von Glas. Das Zischen beim Aufreißen von Bierdosen. Der Geruch von gekochten Bohnen. Der Gestank von städtischem Smog. Auf dem oberen Feld spielten Menschen Fußball oder schauten zu, sicherlich an die hundert Menschen. Colonia Libertad war von Autos verstopft. Es würde für die Border Patrol wieder mal eine schlimme Nacht werden, meinten sie.
Joe Vasquez und Fred kletterten auf den Airport Mesa, um sich in Richtung Deadman's Canyon vorzuarbeiten. Dick Snider und Robbie Hurt plazierten sich und ihren Ford Bronco an einer Stelle, von der aus sie den größten Teil des Spring Canyons, das obere Fußballfeld, den Eingang zum Deadman's Canyon und den Höhenzug, der von Colonia Libertad nach Norden führte, überblicken konnten. Manny Lopez und Joe Castillo hatten Washerwoman's Fiat hinter sich gelassen und gingen nach Osten in Richtung Deadman's Canyon.
Überall auf den Abhängen oberhalb des Spring Canyons und auf der schmutzigen Straße, die parallel zur internationalen Grenze verläuft, waren Kinder. Canyonkinder, so wild wie Falken. Plötzlich stießen Dick Snider und Robbie Hurt, die sich in den Büschen und Mesquitesträuchern
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