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Die San-Diego-Mission

Die San-Diego-Mission

Titel: Die San-Diego-Mission Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
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erdulden mußte. Joe Castillo wiederum blieb das Lachen im Hals stecken, wenn sie meinten, er sei etwa so raffiniert wie ein Sack Kohlrüben. Und möglicherweise hatte man sogar den ewig lächelnden Joe Vasquez zu häufig darauf hingewiesen, daß er große Ähnlichkeit mit Charles Laughton als Glöckner von Notre Dame hatte. Einleuchtend, letztlich, war es auch, daß Robbie Hurt es leid war, immer mit einem Negerzuhälter verglichen zu werden, der sich die Zähne mit Diamanten plombieren ließ.
    Tatsächlich waren sie in jenen Tagen sehr ruhig, wenn sie sich ihre kugelsicheren Westen und Grenzgängerklamotten anzogen. In ihrem kleinen Squadroom, der etwa die Größe einer Familiengruft hatte, wurde auch kaum noch getratscht. Und wenn sie sich in der Dämmerung in ihren Wagen mit Vierradantrieb drängten, um in die Canyons zu fahren, war das Schweigen fast gespenstisch. Keiner machte den Mund auf. Eine ganz neue Verhaltensweise war zu beobachten, seit ihnen unmißverständlich klargemacht worden war, daß da draußen auch lebende Legenden nicht unverwundbar waren.
    Am 5. April machte eine Gangsterbande im Deadman's Canyon einen besonders guten Fischzug, und er ging auf Kosten der unglücklichsten Opfer, die jemals einen Überfall überlebt hatten und ihre Erlebnisse erzählen konnten. Achtzehn Pollos aus El Salvador und Guatemala hatten an dem Nachmittag beschlossen, ihr Glück im Deadman's Canyon zu versuchen. Da die Sonne noch hoch über den Bergen stand, hatten sie sich wahrscheinlich ausgerechnet, daß sie zwar unter Umständen von der migra erwischt werden, aber sicherlich den Gangstern entkommen würden, von denen sie so viel Schlimmes gehört hatten. Sie irrten sich.
    Während die Gruppe dieser achtzehn Männer und Frauen unter einer verkrüppelten Eiche im Deadman's Canyon zum erstenmal Rast machte, näherten sich ihr drei junge Männer und ein großer schwarzer Hund. Einer der jungen Männer trug ein 22er Gewehr. Er hatte die längsten Haare, die die meisten von ihnen je bei einem Mann gesehen hatten. Er sah wahr und wahrhaftig wie ein Apache in einem amerikanischen Film aus. Das Haar war so lang, daß es ihm den ganzen Rücken runter bis auf den Gürtel fiel. Und er hatte sich, wirklich wie ein Apache oder ein amerikanischer Hippie, ein dunkelblaues Halstuch um die Stirn geschlungen. Dazu trug er eine braune Weste über einem langärmeligen weißen Hemd, was ihn einem Filmindianer noch ähnlicher machte.
    Weil er einen großen, wild aussehenden Hund bei sich hatte und ein Gewehr trug, hofften sie zunächst, daß er in den Canyons nur Eselhasen jagen wollte, nichtzuletzt auch deshalb, weil einer seiner Begleiter noch ein Junge war. Der Junge allerdings trug einen großen Stein. Und der dritte junge Mann eine große Eisenstange.
    Wahrscheinlich deshalb, weil die achtzehn Pilger nicht wie Mexikaner aus der Grenzgegend wirkten, sagte der mit dem langen Haar und dem 22er Gewehr was sehr Blödes. Er sagte: »Wir sind judiciales. Rückt mal euer Geld raus.«
    Das war beinahe schon komisch, abgesehen davon, daß er einen so wilden und glasstarren Blick hatte und sein Gewehr anscheinend alles andere als ein Spielzeug war. Der langhaarige Gangster filzte einen der Pilger und fand bloß etwas salvadorianisches Geld. Er stopfte sich das wertlose Zeug in die Tasche, und die drei wandten sich enttäuscht ab, ohne sich die Mühe zu machen, die übrigen zu filzen. Die Pilger meinten bereits, sie hätten Glück gehabt.
    Aber als sie sich dreißig Minuten später niederduckten, um zu warten, bis sich ein in der Ferne aufgetauchter Wagen der Border Patrol verzog, erschienen drei weitere Männer. Sie waren älter, sagten aber beinahe dasselbe: »Wir sind von der Staatspolizei. Rückt mal euer Geld raus.«
    Offenbar machte es all diesen Gangstern Spaß, sich als Polizisten auszugeben. Aber die judiciales hatten im allgemeinen keine Totschläger und Macheten und abgebrochene Flaschen bei sich. Die neun Männer und neun Frauen waren so entsetzt, daß sie freiwillig alles rausrückten, um ihr Leben zu retten. Drei verbrecherische Junkies hauten an diesem Nachmittag mit über fünftausend US-Dollar ab.
    Während die Pilger noch heulten und jammerten und wehklagten und sich nicht vorstellen konnten, wie sie jemals Los Angeles erreichen oder nach El Salvador und Guatemala zurückkommen sollten, näherte sich eine weitere Gruppe Männer, diesmal zwölf. Und die Sonne war im Deadman's Canyon immer noch nicht untergegangen. Die zwölf

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