Die Sanddornkönigin
entmündigt in einem Sanatorium den Rest des Lebens verdämmerte, das brachte Thore Felten genau dorthin, wo er allem Anschein nach sein wollte. Er hätte freie Hand, was das Hotel und auch was sein Liebesleben anginge.
Wencke versuchte, objektiv zu denken, versuchte, ihre Abneigung gegen diesen Menschen außer Acht zu lassen, doch sie kehrte immer wieder zu diesem Ergebnis zurück. Es war ein Ränkespiel um Macht und Geld, eines von der Art, wie man es kopfschüttelnd und ungläubig in einem schlechten Kriminalroman vorgesetzt bekam. Es war ein Verbrechen.
Aber es war kein Mord. Ronja Polwinski hat vielleicht ihre Finger im Spiel gehabt, hat den reichen Hotelier eventuell um die selbigen gewickelt und seiner Frau noch kräftig zugesetzt. Doch dass sie ermordet wurde, dass sie betäubt in die eisige Kälte eines Gefrierhauses gelegt und anschließend steif gefroren in den Dünen zu Grabe getragen wurde, das passte nicht ins Bild. Wencke war sich sicher, dass Hilke Felten-Cromminga übel mitgespielt wurde, doch die Tote im Sanddorn war womöglich ein anderes Kapitel.
Auf Sanders’ Tisch lagen Zettel, ungeheftete Skizzen, die zwar ordentlich zusammengelegt waren, jedoch handgeschrieben. Wencke hatte schon einmal einige Kollegen über Sanders’ Diagrammtick witzeln hören, sie nahm die Blätter zur Hand.
Es waren drei, das erste war mit Hilke Felten- Cromminga betitelt, auf dem nächsten stand der Name ihres Mannes. Beide Diagramme sahen in Wenckes Augen etwas unverständlich aus, doch sie konnte daraus ersehen, dass ihr Kollege auf diese Art und Weise seine Hauptverdächtigen zu katalogisieren versuchte. Sie blätterte um. Auf dem dritten Blatt stand Fokke Cromminga.
Wencke überlegte kurz, dann griff sie zum Telefonbuch.
Sanders erkannte seine Kollegin kaum wieder, als er sie schon von weitem auf der eintönigen Flugplatzstraße auf sich zukommen sah. Sie hatte ihn bereits per Handy darüber informiert, dass sie etwas herausgefunden hatte, und ließ sich nicht davon abbringen, ihnen entgegenzulaufen. Sie winkte ihnen zu, dann schien sie ihre Schritte zu beschleunigen, so als könne sie es nicht erwarten, ihn und Meint Britzke zu treffen. Über ihren Köpfen setzte gerade eines dieser kleinen, aber lauten Propellerflugzeuge zur Landung an. Die Maschine machte einen ohrenbetäubenden Lärm, doch vielleicht fiel es ihm auch nur so auf, weil er seit heute Morgen kein Motorengeräusch mehr gehört hatte.
Für einen kurzen Moment war Sanders geneigt, seine Meinung über Wencke Tydmers zu revidieren. Vielleicht war sie wirklich und ernsthaft an ihrem Job interessiert und dazu eventuell auch noch lernfähig. Wenn er die Leitung in Aurich übernahm, dann würde sie schon eine Bereicherung für sein neues Team darstellen, denn erstens war sie eine Frau und konnte mit ihrer bloßen Anwesenheit die männlichen Kollegen zu mehr Disziplin und weniger Flegelhaftigkeit animieren, zweitens hatte sie eine Art, die als Ergänzung zu seinem logischen und taktischen Vorgehen sicherlich auch das eine oder andere sinnvoll in einen Fall einbringen konnte. Man nannte es wohl weibliche Intuition.
»Haben Sie etwas erreicht?«, fragte Tydmers, als sie in Hörweite herangekommen war.
»Nein, der Weg hat sich wirklich nicht gelohnt«, stöhnte Britzke. Nun gut, er hatte zwar die schwere Aktentasche zu tragen, jedoch kam Sanders zu der Vermutung, dass Frau und Kind schlechte Auswirkungen auf die Kondition eines Mannes hatten.
»Sie scheint wirklich in dieser Hütte übernachtet zu haben, doch jetzt ist keine Spur von ihr zu erkennen. Dieses Jagdhäuschen ist allerdings ungefähr drei Kilometer von hier entfernt, und nur um sich zu vergewissern, dass sie dort gewesen sein könnte, dafür ist der Gewaltmarsch eindeutig zu lang. Autofreiheit ist im Urlaub zwar eine ganz nette Idee, im Berufsleben ist es ein Hohn.«
»Was ist mit dem Messer?«, fragte Tydmers.
»Es scheint aus der Hütte zu stammen. Eine Truhe war aufgebrochen, und darin lagen noch anderweitige Waidmannsutensilien.«
»Und das Blut?«
Sanders schüttelte den Kopf und er sah, dass Britzke ebenfalls einen resignierten Gesichtsausdruck hatte.
»Fragen Sie lieber nicht, ob wir uns darüber freuen oder ob wir enttäuscht sind, keine Spuren von Gewalt gefunden zu haben. Warten wir die Laborberichte ab. Das Messer und die Decke sind eben mit dem Flieger zum Festland gebracht worden. Aber liebe Frau Kollegin, was gibt es so Aufregendes? Sagen Sie bloß, Sie haben den Fall
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