Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)
herum und gab sich ganz der Freude an seiner Arbeit hin. Wenn der Wasserkessel im Hof pfiff, lief er hin, um Wasser zu holen. Shitou, sein Gehilfe, hatte das Haar voller Kohlenstaub und sein rußschwarzes Gesicht ließ seine Zähne noch weißer aussehen. Als er den Chef nahen sah, legte er sich beim Betätigen des Blasebalgs noch mehr ins Zeug und fachte das Feuer unter dem Ofen an. Der hatte vier Vertiefungen; in jeder stand ein Wasserkessel. Das Wasser kochte über und spritzte in die heißen Kohlen. Zischend stieg weißer Rauch auf, dessen Geruch einem in die Nase stach. Kleiner Pfirsich zog an der Hand die Kinder hinter sich her, die gerade laufen gelernt hatten, um zum Markt in Masang zu gehen und dem bunten Treiben dort zuzuschauen. Die lachenden Gesichter der Kinder glichen aufblühenden Blumen. Kleiner Pfirsich sagte: »Bao'er, Yun'er, sagt eurem Vater auf Wiedersehn!«
Sun Bing setzte den Wasserkessel ab, wischte sich die Hände an seinen Kleidern ab, nahm die beiden Kinder hoch auf den Arm, herzte und küßte ihre zarten Gesichter und genoß den Milchgeruch, den sie verströmten. Die Kinder begannen zu kichern und Sun Bings Herz schmolz wie Honig. Danach eilte er noch behender und flinker durch die Teestube und reagierte auf die Rufe der Kunden noch prompter und dienstfertiger. Das breite Lächeln auf seinem Gesicht, wenn es auch noch so naiv und tolpatschig wirkte, war das eines unbestreitbar glücklichen Mannes.
Er gönnte sich eine kurze Pause, lehnte sich gegen den Tresen, zündete sich eine Pfeife an und nahm ein paar tiefe Züge. Durch die geöffnete Tür sah er seine Frau mit den Kindern an der Hand in Richtung des Marktes davongehen.
An einem Tisch, der gleich neben dem Fenster stand, saß ein wohlhabend aussehender Herr mit großen Ohren und einem kantigen Gesicht. Sein Familienname war Zhang, der Vorname, den ihm die Eltern gegeben hatten, Haogu, sein offizieller Beiname war Nianzu und die Leute nannten ihn Zweiter Patriarch Zhang. Er war schon gut über fünfzig, sah gesund und rosig aus und schien in blendender Verfassung zu sein. Auf seinem runden Kopf trug er eine kleine schwarze Kappe aus Satin, auf deren Vorderseite ein Stück grüner Jade prangte. Zweiter Patriarch Zhang war der Vorzeigegelehrte von Dongbei, hatte sich in die kaiserliche Akademie als Student eingekauft und war weit gereist, im Süden bis jenseits des Jangtse und im Norden bis zu den Grenzgebieten. Er prahlte gerne damit, daß er in Beijing einmal eine vergnügliche Nacht mit der berühmten Kurtisane Sai Jinhua verbracht hatte. Es gab keine Angelegenheit, bei der er nicht mitreden konnte. Er war Stammgast in Sun Bings Teehaus und kaum nahm er Platz, hatten die Umsitzenden nichts mehr zu sagen. Er hob seine mit blauem Blumenmuster verzierte Porzellantasse hoch, nahm den Deckel ab, hielt die Teetasse zwischen drei Fingern, blies ein wenig in den Schaum, der sich auf dem Tee gebildet hatte, nippte ein bißchen, fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und fragte: »Meister, warum ist dieser Tee bloß so fade?«
Sun Bing klopfte hastig seine Pfeife aus, eilte zu ihm, machte einen Diener und meinte: »Zweiter Patriarch, das ist aber der erstklassige Longjing-Tee, den Ihr stets zu trinken pflegt.«
Zweiter Patriarch nippte noch einmal an seinem Tee. »Er ist schlichtweg fade!«
Sun Bing beeilte sich zu fragen: »Wie wäre es mit etwas Opium?«
»Keine schlechte Idee.«
Diensteifrig rannte Sun Bing zum Tresen zurück. Er nahm eine Opiumkapsel zwischen eine silberne Zange und hielt sie über die brennende Flamme der Öllampe. Er wendete sie hin und her, um sie zu rösten. Im Nu erfüllte ein seltsamer Geruch den ganzen Raum.
Nach dem Genuß von nur einer halben Tasse Tee mit der eingelegten Opiumkapsel wurde die Laune des Zweiten Patriarchen deutlich besser. Seine Augen schweiften lebhaft wie zwei kleine Fische über die vielen Gäste hin. Sun Bing wußte genau, daß der gelehrte Herr gleich anfangen würde, Reden zu halten. Ein junger Lebemann namens Wu, mit magerem, gelblichem Gesicht und Zähnen, die von zuviel Tee und Tabak ganz schwarz waren, fragte mit rauchiger Stimme: »Zweiter Patriarch, gibt es Neuigkeiten über den Eisenbahnbau?«
Der Angesprochene stellte seine Teetasse auf dem Tisch ab, schürzte die Lippen, rümpfte die Nase und gab nach reiflicher Überlegung herablassend bekannt: »Neuigkeiten? Selbstverständlich habe ich Neuigkeiten. Ich habe euch bereits erzählt, daß ein alter Freund von mir, Herr Hua
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