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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Beschimpfungen fort, und Seine Exzellenz Yuan forderte zum dritten Mal: »Schneide ihm die Zunge ab!«
    In diesem kritischen Moment hatte Zhao Jia eine göttliche Eingebung. Er nahm das kleine Messer zwischen die Zähne, nahm den Wassereimer und schüttete Qian ruckzuck das kalte Wasser ins Gesicht. Sofort verstummte er und der Henker nutzte die Schrecksekunde und begann Qian zu würgen, bis er vor Atemnot blau anlief und seine lilafarbene Zunge herausstreckte. Mit einer Hand hielt Zhao Jia seine Gurgel gepackt und bemühte sich, nicht vorzeitig locker zu lassen, während er mit der anderen Hand das Messer aus seinem Mund nahm. Das Messer zuckte, und schon hatte er Qian die Zunge abgeschnitten. Diese außerplanmäßige Darbietung ließ die Soldaten in einen Jubel ausbrechen, der Flutwellen glich, die sich an Deichen brechen.
    Als Zhao Jia ihnen Qians Zunge präsentierte, fühlte er sie zittern wie einen sterbenden Frosch. »Nummer vierundfünfzig«, flüsterte er kraftlos. Dann warf er Yuan Shikai die Zunge vor die Füße.
    »Schnitt Nummer ... vierund ... fünfzig!« verkündete der Gehilfe.
    Qian Xiongfeis Gesicht hatte nun eine gelbliche Farbe angenommen. Das Blut rann ihm aus dem Mund. Sein Körper war naß und blutig und man merkte, daß er auch ohne Zunge immer noch Flüche ausstieß, nur ohne wirklich artikulieren zu können. Niemand konnte mehr hören, was er da für Verwünschungen von sich geben wollte.
    Zhao Jias Hände fühlten sich so unerträglich heiß an, als ob sie jeden Moment in Flammen aufgehen und zu Asche werden könnten. Er hatte keine Kraft mehr, aber die hohe Berufsehre erlaubte ihm nicht, auf halbem Weg aufzugeben. Da durch den Befehl Yuan Shikais, dem Delinquenten die Zunge abzuschneiden, das ganze Prozedere durcheinandergebracht worden war, wäre es nur recht und billig gewesen, Qian nun rasch den Gnadenstoß zu versetzen. Das aber ließen Zhao Jias Pflichtgefühl und seine Moral nicht zu. Er hätte das nicht nur als Verletzung der Gesetze der Großen Qing-Dynastie empfunden, sondern auch als Beleidigung des tapferen Mannes, den er vor sich hatte. Er würde Qian um jeden Preis erst nach fünfhundert Schnitten sterben lassen, sonst wäre er, der berühmte Henker des Strafministeriums, wirklich nicht mehr als ein schnöder Metzger.
    Er reinigte Qian Xiongfeis Körper mit dem in Salzwasser getränkten Handtuch. Während er das Handtuch eintauchte, ließ er die eigenen, heißen Hände einen Moment lang im Wasser abkühlen und trocknete sie dann ab. Qians zungenloser Mund bewegte sich immer noch, aber die Laute, die daraus hervordrangen, wurden zusehends schwächer. Zhao Jia war klar, daß er sich beeilen mußte. Er mußte kleinere Stücke herausschneiden, vermeiden, daß sich das Blut an einer Stelle konzentrierte, und den ursprünglich vorgesehenen Ablauf pragmatisch den unvorhergesehenen Gegebenheiten anpassen. So würde sich niemand über die mangelnde Kompetenz des Henkers beklagen können, sondern lediglich über die willkürlichen Befehle Yuan Shikais. Mit einer unauffälligen Bewegung stach er sich selbst mit seinem Messer ins Bein, um durch den Schmerz sein Gefühl der Müdigkeit und Taubheit zu vertreiben und sich gleichzeitig von dem furchtbaren Hitzegefühl in seinen Händen abzulenken. Er sammelte sich, achtete nicht mehr auf Yuan Shikai und die Offiziere hinter ihm und schon gar nicht auf das begriffsstutzige Heer vor ihm. Er handhabte sein Messer wie ein Wirbelwind, und wie Hagelkörner flogen die Fleischbrocken, die er aus Qian Xiongfei herausschnitt, rings um ihn zu Boden. Mit zweihundert Schnitten hatte er alles Fleisch von den Oberschenkelknochen abgetrennt, fünfzig Schnitte benötigte er für die beiden Arme, weitere fünfzig für das Bauchmuskelfleisch und von den beiden Gesäßbacken schnitt er jeweils siebzig Stücke ab. An diesem Punkt war bereits kaum noch Leben in Qian Xiongfei, aber seine Augen glänzten noch. Schaum stand ihm vor dem Mund und seine inneren Organe, die nicht mehr vom Muskelfleisch zusammengehalten wurden, quollen aus ihm heraus. Besonders die Gedärme zappelten bedrohlich wie ein Haufen Giftschlangen in einem Sack. Zhao Jia streckte sich und tat einen tiefen Atemzug. Er war völlig entkräftet. Seine Beine fühlten sich klebrig an, er konnte nicht sagen, ob das von seinem Schweiß oder seinem Blut kam. Um das heldenhafte Leben des Qian Xiongfei zu besiegeln und zu Ruhm und Ehre des Strafministeriums beizutragen, vergoß er sein eigenes Blut.
    Es

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