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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Gegenwart Eurer Exzellenz wagt Euer Kadett sich nicht zu setzen.«
    Yuan Shikai sagte: »Gut, dann bleib stehen.«
    Xiongfei stellte fest, daß Seine Exzellenz ein kantiges Gesicht hatte, große Augen, dichte Augenbrauen, einen großen Mund, eine hervorstechende Nase und große Ohren: das Gesicht eines Bilderbuch-Aristokraten. Er sprach immer noch Dialekt; seine Stimme war kräftig und tief wie lange gelagerter Wein. General Yuan begann zu essen und schien ihn vollkommen vergessen zu haben. Xiongfei stand aufrecht wie eine Pappel und rührte sich nicht. Yuan Shikai trug einen Hausanzug und Pantoffeln und hatte seinen Zopf zu einem Knoten auf dem Kopf zusammengedreht. Auf dem Tisch standen Platten mit rotgebratenen Schweinshaxen, Beijingente, geschnetzeltem Hammelfleisch, rotgebratenem Mandarinfisch, eine Schale mit gekochten Eiern und ein Korb mit Dämpfbrötchen. Seine Exzellenz Yuan aß mit gesegnetem Appetit und mit Genuß. Er war ganz auf sein Essen konzentriert und ließ sich von nichts dabei stören. Eine der Konkubinen war dafür zuständig, die Eier zu schälen, die andere entgrätete den Fisch. Yuan aß vier gekochte Eier, kaute zwei Schweinshaxen, verschlang die knusprige Haut der Pekingente, probierte auch vom Hammelfleisch, aß den halben Fisch und zwei Dämpfbrötchen. Dazu trank er drei Becher Wein. Zuletzt gurgelte er mit Teewasser und wischte sich die Hände an einer Serviette ab. Anschließend lehnte er sich in seinem Sessel zurück, rülpste laut, schloß die Augen und stocherte sich in den Zähnen herum, als wäre er ganz allein im Raum.
    Xiongfei wußte, daß alle großen Männer ihre ganz eigene Art hatten, um den Charakter eines Mannes auf die Probe zu stellen; er nahm an, daß Yuan ihn mit diesem merkwürdigen, unhöflichen Verhalten auf die Probe stellen wollte, und blieb stehen wie eine Eins. Obwohl bereits über eine Stunde vergangen war, wurden seine Beine nicht zittrig, er hielt Augen und Ohren offen und veränderte nicht einen Deut an seiner Haltung, mit der er seine hervorragende körperliche Verfassung demonstrierte.
    Der General hielt weiterhin die Augen geschlossen. Die eine Konkubine massierte ihm die Beine und die andere die Schultern. Er begann laut zu schnarchen. Die beiden Frauen blickten verstohlen zu Qian Xiongfei hin, ihre Mienen umspielte ein freundliches Lächeln. Endlich hörte Seine Exzellenz auf zu schnarchen, öffnete die Augen und begann sein Gegenüber plötzlich, ohne jedes Anzeichen von Müdigkeit oder Benommenheit, zu befragen: »Kang Nanhai sagt, du hättest außerordentlich großes politisches Wissen und wärst von unübertrefflichem militärischen Geschick. Stimmt das?«
    »Euer Kadett ist erschrocken über das völlig übertriebene Lob Seiner Exzellenz Kang.«
    »Mir ist es scheißegal, ob du ein großer Stratege oder ein großer Einfaltspinsel bist. Mich interessiert nur, was du in Japan gelernt hast.«
    »Das Handbuch des Infanterieregiments, Schießkunst, Verhalten im Feld, Kriegstaktik, Waffenkunde, Konstruktion von Verteidigungsanlagen, Topographie ...«
    »Du kannst also schießen?« Yuan Shikai unterbrach ihn abrupt und richtete sich auf.
    »Ich bin in der Handhabung aller Arten von Infanteriegeschützen ausgebildet worden, insbesondere Handfeuerwaffen. Ich kann beidhändig schießen, und wenn ich auch nicht beschwören möchte, auf hundert Schritte ein Weidenblatt vom Baum zu schießen  – auf fünfzig Schritt ist bei mir jeder Schuß ein Treffer!«
    »Wer es wagt, sich vor mir mit falschen Tatsachen zu brüsten, der hat schlechte Karten«, sagte der General kühl. »Wenn es eine Sache gibt, die ich nicht ausstehen kann, dann ist es Angeberei.«
    »Ich bin bereit, Euch eine Probe meines Könnens zu geben.«
    »Gut.« Yuan Shikai trommelte mit der Hand auf die Tischplatte und sagte jovial: »Wie sagt man bei mir zu Hause: ›Um zu wissen, ob du es mit einem Pferd oder einem Esel zu tun hast, brauchst du das Tier nur spazieren zu führen‹. Wache!«
    Ein junger Wachsoldat trat ein. »Bereite Pistolen, Munition und Zielscheiben vor!«
    Auf dem Schießplatz standen bereits Korbstühle, Teetische und Sonnenschirme bereit. Yuan Shikai nahm zwei vergoldete Pistolen aus einem mit Satin ausgeschlagenen Kästchen und sagte: »Das sind Geschenke eines deutschen Freundes. Ich habe sie bislang noch nicht ausprobiert.«
    »Nach Euch, Exzellenz.«
    Der Wachsoldat lud die Pistolen und legte sie in die Hände des Generals. Dieser sagte lachend: »Man sagt, daß ein

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