Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)
wahrer Soldat seine Waffe so hoch schätzt wie seine eigene Frau und es niemals zulassen würde, daß ein anderer sie anfaßt. Stimmt's?«
»Es ist ganz so, wie Exzellenz sagen. Zahlreiche Soldaten betrachten ihre Waffen auf diese Weise«, sagte Xiongfei ohne jede Schüchternheit. »Ich bin jedoch der Meinung, daß dieser Vergleich allzu profan ist und den Waffen nicht gerecht wird. Nach meinem Dafürhalten sollte ein wahrer Soldat seine Waffen so hoch schätzen wie seine eigene Mutter.«
Yuan Shikai grinste. »Eine Waffe mit einer Frau zu vergleichen ist schon reichlich seltsam, aber sie mit der eigenen Mutter zu vergleichen ist absurd. Du sagst, daß der Vergleich mit einer Frau der Waffe nicht gerecht wird. Meinst du denn, daß der Vergleich mit einer Waffe einer Mutter gerecht wird? Eine Waffe dient dazu, jemanden zu töten. Aber könntest du von deiner Mutter verlangen, dir beim Töten behilflich zu sein?«
Der scharfe Unterton dieser Frage bewirkte, daß Xiongfei sich nicht mehr wohl in seiner Haut fühlte.
»Ihr jungen Soldaten werdet im Westen oder in Japan ausgebildet, und schon leidet ihr an fataler Selbstüberschätzung. Kaum macht ihr den Mund auf, schon kommt allerhand dummes Geschwätz heraus.« Yuan Shikai feuerte ohne Vorwarnung mit der einen Pistole auf den Boden. Der Geruch des Pulverdampfs erfüllte die Luft. Er nahm die zweite Pistole und schoß in die Luft. Die Kugel zischte mit lautem Knall in Richtung Wolken. Als er die Pistolen wieder hinlegte, sagte er spöttisch: »Letzten Endes sind Waffen ganz einfach Waffen, sie sind keine Frauen und noch weniger sind sie Mütter.«
Xiongfei stand stramm, mit den Händen an der Hosennaht: »Ich danke Exzellenz für die Unterweisung. Ich bin gewillt, meinen Standpunkt zu überdenken. Ihr habt ganz recht, Waffen sind Waffen, sie sind keine Frauen und noch weniger sind sie Mütter.«
»Es ist nicht nötig, daß du mir gleich in den Arsch kriechst. Eine Waffe mit der eigenen Mutter zu vergleichen ist für mich absurd. Der Vergleich mit einer Frau ist aber noch akzeptabel.«
Yuan warf ihm eine Pistole zu. »Hier, ich schenke dir eine Frau.«
Xiongfei fing sie im Flug. Yuan Shikai warf ihm auch die andere Pistole zu und sagte: »Noch eine Frau, da hast du zwei Schwestern!«
Er fing auch die zweite Waffe auf. Die beiden Pistolen in seiner Hand ließen das Blut in seinen Adern anschwellen. Die grobe Art und Weise, mit der der General die beiden vergoldeten Schönheiten handhabte, ließ ihn an zwei hübsche junge Zwillingsschwestern in der Hand eines Rohlings denken. Der Anblick hatte ihm in der Seele weh getan, doch er konnte daran nichts ändern. Er meinte, ihr Zittern zu fühlen und ihr Wehgeschrei zu hören. Aber er spürte auch ihre Hingabe, was ihn den Vergleich mit einer Mutter aufgeben ließ. Er neigte nun mehr dazu, sie mit zwei schönen Frauen gleichzusetzen. Nach diesem Wortwechsel über den Charakter von Waffen hatte er das Gefühl, daß Yuan Shikai nicht nur ein guter militärischer Befehlshaber, sondern auch ein Mann von großem Wissen war.
»Dann laß mich deine Schießkünste sehen«, sagte der General.
Xiongfei blies in die Mündungen, wog die Pistolen in seiner Hand und betrachtete sie eingehend. Ihm war bewußt, daß es sich bei diesen golden in der Sonne funkelnden Pistolen um zwei wirkliche Schätze handelte. Er ging ein paar Schritte nach vorn und feuerte wie beiläufig, in einem Bogen von links nach rechts, in nur einer halben Minute sechs Schüsse ab. Der Wachsoldat rannte nach vorn und kam mit der Zielscheibe auf dem Rücken zurück. Man sah sechs Einschußlöcher, die sich in der Mitte der Zielscheibe zum Bild einer Pflaumenblüte formierten. Die Umstehenden applaudierten begeistert.
»Gut gemacht!« Ein ehrliches Lächeln breitete sich auf dem Gesicht des Generals aus. »Was kann ich für dich tun?«
»Ich wäre gern Herr über diese zwei Pistolen«, sagte Xiongfei entschlossen.
Yuan Shikai war für einen Moment verblüfft und fixierte ihn mit einem prüfenden Blick. Dann brach er in schallendes Gelächter aus. Als er sich beruhigt hatte, sagte er: »Gut, dann sollst du ihr Bräutigam sein!«
4.
Als er an diese Geschehnisse zurückdachte, tastete Xiongfei gedankenverloren nach den goldenen Pistolen in ihrem Halfter. Wegen des kalten Windes fühlten sie sich eisig an. Er streichelte sie und beschwor sie: Meine Lieben, bloß keine Panik. Er flehte sie an: Helft mir! Wenn alles vorbei ist, werde ich im Kugelhagel sterben,
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