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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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meinem Zopf nach oben und brachte meine Kotaus zu einem Ende. Ich wollte meinen Kopf schnell wieder senken, als mich eine Stimme hinter mir warnte: »Schluß jetzt, Ihre Majestät die Kaiserinwitwe redet mit dir!«
    Vorne hörte ich jemanden kichern, und ich richtete mich verwirrt auf. Da sah ich auf dem Thron mir gegenüber sehr aufrecht die erhabene Gestalt einer alten Dame. »Ich verdiene den Tod«, war alles, was aus meinem Mund kam. Vor mir saß tatsächlich Ihre Majestät, die regierende Kaiserinwitwe! Lang lebe Ihre Majestät! Ich hörte, wie sie sehr langsam eine Frage an mich wiederholte: »Ich habe dich gefragt, Henker, wie dein Name lautet?«
    »Meine Wenigkeit heißt Zhao Jia.«
    »Wo kommst du her?«
    »Meine Wenigkeit stammt aus Gaomi in der Provinz Shandong.«
    »Seit wann übst du diesen Beruf aus?«
    »Wohl vierzig Jahre.«
    »Wie viele Menschen hast du getötet?«
    »Neunhundertsiebenundachtzig.«
    »Oho! Wir haben es hier mit dem Höllenkönig der Scharfrichter zu tun!«
    »Meine Wenigkeit verdient den Tod.«
    »Was heißt, du verdienst den Tod? Die, die du getötet hast, haben den Tod verdient!«
    »Jawohl, Majestät.«
    »Sag mir, Zhao Jia, wenn du einen Menschen tötest, hast du dann Angst?«
    »Anfangs hatte ich Angst, heute nicht mehr.«
    »Was hast du bei Yuan Shikai in Tianjin gemacht?«
    »Meine Wenigkeit hat in Tianjin im Auftrag Seiner Exzellenz Yuan die Strafe der Zerstückelung bei lebendigem Leib ausgeführt.«
    »Das heißt doch, einem Menschen Stück für Stück das Fleisch aus dem Leib zu schneiden, ohne ihn dabei sterben zu lassen?«
    »So ist es.«
    »Ich habe mit dem Kaiser darüber gesprochen, diese Strafe abzuschaffen. Wir sollen doch das Gesetz reformieren, nicht wahr? Das ist also eine Gesetzesreform. Majestät, habe ich recht?«
    »Ja.« Eine traurige Stimme drang von weiter vorn zu mir her. Ich nahm all meinen Mut zusammen und hob ein klein wenig den Kopf, um einen Blick zu riskieren und sah jemanden links vor der Kaiserinwitwe sitzen. Er trug eine lange Robe in kaiserlichem Gelb, deren Vorderhälfte ein schillernder goldener Drache zierte. Auf dem Kopf trug er einen hohen Hut, auf dem eine leuchtende Perle, groß wie ein Hühnerei, thronte. Unter dem Hut ein langes, porzellanweißes Gesicht. Seine Majestät, der Sohn des Himmels, der Kaiser der Großen Qing-Dynastie! Ich wußte sehr wohl, daß der Kaiser nach der Geschichte mit der Reformbewegung um Kang Youwei bei der Kaiserinwitwe in Ungnade gefallen und faktisch entmachtet war, doch er war immer noch unser Kaiser. Lang lebe der Kaiser! Er lebe hoch!
    Seine Majestät sagte: »Die Kaiserinwitwe hat vollkommen recht.«
    »Ich habe Yuan Shikai sagen hören, daß du in Ruhestand gehen und in deine Heimat zurückkehren möchtest?« Eine gewisse Ironie lag in der Stimme der Kaiserinwitwe. Ich kam fast um vor Angst, und mir fiel nichts Besseres ein, als wiederum den Kopf auf den Boden zu schlagen, bevor ich antwortete: »Das Verbrechen Eures ergebenen Dieners verdient mit tausend Toden bestraft zu werden. Er ist nicht mehr wert als räudiger Hund, Ihre Majestät sollte sich gar keine Gedanken über ihn machen. Was er sagen möchte, sagt er nicht aus Eigeninteresse. Euer Diener ist der Meinung, daß er zwar selbst eine verabscheuungswürdige Person ist, sein Beruf ist es aber nicht. Der Henker repräsentiert die Würde des Staates. Ohne den Henker, der den Gesetzen zu ihrer Ausführung verhilft, sind alle Gesetze nichts wert. Daher war Euer Diener der Auffassung, daß die Henker offiziell zu den Angestellten des Justizministeriums gezählt werden und ein monatliches Salär erhalten sollten. Euer Diener würde sich auch wünschen, daß für meinen Beruf eine Regelung zur Altersversorgung gefunden wird, damit wir im Alter nicht auf der Straße landen. Euer Diener ... Euer Diener würde sich auch wünschen, daß man eine Erbfolge für den Stand der Henker einführte, damit die Ausübung dieses althergebrachten Berufs als eine Ehre betrachtet wird ...«
    Die Kaiserinwitwe gab ein kaiserliches Räuspern von sich. Ich war zu Tode erschrocken, hielt sofort den Mund und machte neuerlich einen Kotau. Mit tiefgesenktem Kopf murmelte ich: »Euer ergebener Diener verdient den Tod ... den Tod ...«
    »Was er sagt, hat Hand und Fuß«, sagte die Kaiserinwitwe. »Unter allen Berufsständen sollte dieser eine nicht fehlen. Man sagt, jedes Metier hat seinen Meister und du, Zhao Jia, bist offensichtlich ein Meister deines Fachs.«
    »Eine solche

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