Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)
Seine Exzellenz zu meinen Schülern. »Euer Meister ist unter einem guten Stern geboren worden.«
Sie gingen fort, und ich blieb mit Seiner Exzellenz Tie allein zurück. Seine Diener standen ein Stück weit entfernt von uns neben der Kutsche, deren Laternen sie gelöscht hatten. In der Morgendämmerung hörte man nur die Geräusche des Pferdes, und man roch den Duft des Futters, das es fraß: Heu und geröstete schwarze Bohnen.
»Exzellenz, könntet Ihr mich nicht wissen lassen ...«
»Halt den Mund«, fuhr Tie mich an. »Wenn ich du wäre, würde ich besser gar nichts sagen, es sei denn, Ihre Majestäten stellen dir eine Frage.«
Das konnte doch nicht wahr sein ...
Als ich aus der von zwei Eunuchen getragenen, mit dunklem Stoff verhangenen kleinen Sänfte stieg, empfing mich ein weiterer, etwas buckliger Eunuch in einem langen, bräunlichen Kleid. Er bedeutete mir mit einem mysteriösen Blick, ihm zu folgen. Wir gingen durch eine endlose Abfolge von Höfen und Korridoren, bis wir eine große Halle erreichten, deren Decke höher zu sein schien als der Himmel. In diesem Moment ging die Sonne auf, und die mannigfachen Strahlen des Morgenlichts erhellten die Umgebung. Ich sah mich verstohlen um. Um mich herum schien alles in Licht und Farbe zu erblühen wie ein Feuer. Der bucklige Eunuch zeigte mit ausgestrecktem Zeigefinger auf den Boden. Ich folgte ihm mit meinem Blick und sah den mit blauen Steinen gepflasterten Boden, der blitzblank war wie der Grund eines frischgewienerten Kochtopfs. Ich verstand nicht, was er mir mit seiner Geste sagen wollte und suchte in seinem Gesicht nach einer Antwort, aber er drehte sich nur wortlos um. Endlich begriff ich, daß er mir bedeutet hatte, an dieser Stelle zu warten. Jetzt wußte ich, um was es ging. Das war also die freudige Überraschung, von der Yuan gesprochen hatte! Die ganze Zeit über konnte ich Männer mit roten Beamtenhüten beobachten, die gebückt und mit gesenkten Köpfen auf Zehenspitzen vorübergingen. Alle hatten trotz ihrer Würde etwas Angstvolles an sich. Als ich das Benehmen dieser hochgestellten Herrschaften sah, wurde mir ganz mulmig zumute, mein Herz raste, meine Beine zitterten und mir war eiskalt. Dabei waren meine Handflächen ganz feucht. Ich wußte ja nicht, ob mich hier ein großes Glück oder doch eher ein Unglück erwartete. Wäre es an mir gewesen – ich hätte mich schleunigst aus dem Staub gemacht, wäre in meine kleine Behausung zurückgekehrt und hätte zur Beruhigung einen Schnaps getrunken. Doch jetzt gab es kein Zurück mehr.
Ein großgewachsener Eunuch mit einem ausdrucksstarken Gesicht kam aus jener Tür, vor der niemand seinen Kopf zu heben wagte, und gab dem Buckligen ein Zeichen. Meine Güte! Das Gesicht dieses Eunuchen hatte eine so lebendige Ausstrahlung – er kam mir vor wie das fleischgewordene Gesetz. Bis heute hat mir niemand gesagt, wer er war, doch ich erriet es: Es konnte sich um niemand anderen handeln als um Li Lianying, den höchsten Eunuchen des kaiserlichen Haushalts. Er war ein Schwurbruder Yuan Shikais und die beiden standen in ständigem Kontakt miteinander. Höchstwahrscheinlich war es ihm zu verdanken, daß meine Audienz beim Kaiser und der Kaiserinwitwe überhaupt zustande gekommen war. Ich hatte keine Ahnung, was zu tun war, und stand wie angewurzelt da. Der bucklige Eunuch vor mir zog mich vorsichtig am Ärmel und sagte leise: »Beeil dich, man hat dich gerufen!«
Da erst hörte ich eine wohltönende Stimme: »Ich rufe Zhao Jia ...!«
Bis heute kann ich mich nicht erinnern, wie ich in die Thronhalle gelangt bin. Alles, woran ich mich erinnere, ist, wie sich beim Eintreten vor meinen Augen ein Meer von Perlen und Edelsteinen auftat. Ich sah goldene Drachen und rote Phönixe vor meinen Augen tanzen. Vor Angst zitternd, kniete ich mit gesenktem Kopf nieder. Der Boden war so warm wie ein beheizter Kang. Ich schlug meine Stirn auf den Boden, machte einen Kotau nach dem anderen. Erst später wurde mir klar, daß ich mir dabei den Kopf so blutig geschlagen hatte, daß ich wie eine zermatschte Mohrrübe ausgesehen haben muß – kein schöner Anblick für ihre Majestäten. Ich schäme mich zu Tode, wenn ich daran zurückdenke. Ich hätte Ihre Majestäten tausend- und abertausendfach hochleben lassen sollen, aber mein Kopf war völlig leer, als hätte man mir das Gehirn verbrannt. Mir fiel nichts anderes ein, als meinen Kopf wieder und wieder auf den Boden zu schlagen.
Eine kräftige Hand zog mich an
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