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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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hatte eine Vorahnung, daß es etwas mit der von Exzellenz Yuan in Aussicht gestellten Überraschung zu tun hatte. Doch niemals, niemals hätte ich mir träumen lassen, daß Ihre Majestät die Kaiserinwitwe, ein langes Leben sei ihr beschert, und Seine Majestät der Kaiser, er soll tausendfach hochleben, mich mit großem Pomp bei sich empfangen würden!
    Schon zur dritten Doppelstunde hielt es mich nicht mehr im Bett. Ich zündete die Lampen an, rauchte eine Pfeife und weckte die Neffen, damit sie Wasser kochen gingen. Aufgeregt plappernd stiegen sie von ihrem Kang. Die Großtante half mir, mich in einer großen Wanne zu baden, die Zweite Tante trocknete mich ab, während die Kleine Tante mir in die neuen Kleider half. Dieser kleine Kerl hatte feine Gesichtszüge und machte seine Sache mit großer Geschicklichkeit. Ich selbst hatte ihn halbverhungert in der Gosse aufgelesen, er war mir ergeben wie mein eigener Sohn. Seine Augen strahlten vor Freude. Alle meine Schüler waren völlig aus dem Häuschen, denn sie ahnten, daß mir eine große Ehre zuteil werden sollte, und fühlten sich mit mir geehrt. Ihre Freude kam aus tiefstem Herzen. Ich sagte zu ihnen: »Meine Freunde, freut euch nicht zu früh, noch wissen wir nicht, was mich erwartet.«
    »Etwas Gutes«, ergriff die Kleine Tante das Wort. »Ich wage zu vermuten, daß Euch ein großes Glück bevorsteht.«
    »Euer Meister ist ein alter Mann«, seufzte ich. »Wenn nur irgend etwas schiefgeht, wird mein Kopf ...«
    »Bestimmt nicht«, unterbrach mich die Große Tante. »Der Ingwer ist um so besser, je älter er ist. Die Großmutter wird noch jahrzehntelang in der Verbotenen Stadt Exekutionen durchführen.«
    Zu diesem Zeitpunkt lag tatsächlich die Vermutung nahe, daß man mich in den Kaiserpalast bestellt hatte, weil wieder einer der Eunuchen sich dort einen Fehltritt geleistet hatte. Aber ich hatte das Gefühl, daß es um etwas anderes ging. Als ich damals mit Großmutter Yu die Strafe des »Riegels des Höllenkönigs« an dem Eunuch namens Kleiner Wurm durchgeführt hatte, hatte kein Mensch mich dazu aufgefordert, mich zu baden und mir frische Kleider anzuziehen, und schon gar nicht, nicht zuviel zu essen. Aber warum bestellte man einen Henker, wenn es nicht um eine Exekution ging? Ging es vielleicht darum ... ging es vielleicht um meinen eigenen Kopf? Von solchen Gedanken gepeinigt, aß ich einen halben Fladen mit etwas Fleisch darin, putzte mir mit Salz die Zähne und spülte meinen Mund mit reichlich Wasser aus. Ich ging hinaus und sah die drei Sterne des Orion am westlichen Himmel versinken. Der Gong zur vierten Doppelstunde war noch nicht geschlagen worden und der Tag war noch jung. Ich plauderte ein wenig mit meinen Schülern, bis ich den ersten Hahnenschrei vernahm. Dann sagte ich: »Besser zu früh als zu spät. Laßt uns gehen.« Sie scharten sich um mich und begleiteten mich bis vor die Halle der Gefängnisabteilung.
    Im zweiten Mondmonat ist es noch recht kalt in Beijing. Um mich warm zu halten, trug ich eine wattierte Jacke über meiner offiziellen Kleidung. Die morgendliche Kälte setzte mir zu, ich klapperte mit den Zähnen und zog den Kopf zwischen die Schultern. Der Himmel war pechschwarz, und die Sterne funkelten eigenartig. Nach etwa einer Stunde Wartezeit hörten wir den Gong, der zur fünften Doppelstunde schlug, und am östlichen Horizont zeigte sich ein silbriger Streifen. Überall in der Stadt begann sich Leben zu regen. Die Stadttore quietschten, als sie geöffnet wurden, und die Räder der Wassermühlen quietschten ebenfalls, als sie sich zu drehen begannen. Eine einspännige Kutsche fuhr vor. Die beiden Diener auf dem Kutschbock trugen rote Laternen mit der Aufschrift »Tie«, was mir den Vizeminister ankündigte. Die Diener öffneten den schweren, wattierten Vorhang der Kutsche, und heraus schaute Seine Exzellenz Tie, in einen Fuchspelz gekleidet. Die Diener brachten die Kutsche zum Stehen. Seine Exzellenz kam schwankend auf mich zugestapft. Eilig verbeugte ich mich. Er musterte mich von oben bis unten, räusperte sich und spuckte aus. Dann sagte er: »Alter Zhao, du hast wirklich ein unverschämtes Glück.«
    »Ich bin nur ein wertloses Wesen, das ganz vom guten Willen Seiner Exzellenz abhängig ist.«
    »Sobald du drinnen bist, antworte auf jede Frage wie es sich gehört. Sage, was zu sagen ist, alles übrige ...« Die Augen des Vizeministers funkelten in der Dunkelheit.
    »Ich habe verstanden.«
    »Ihr anderen geht zurück«, sagte

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