Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)
schlecht, mein Vater, nicht wahr? Alle haben sie Angst vor euch, aber nicht mein Vater!«
Die Amtsdiener blickten ihn an und prusteten los. Sich vor Heiterkeit krümmend, verließen sie den Hof. Noch von der Hauptstraße her beleidigte ihr Gelächter mein Ohr. Ich wußte, was der Grund für ihr Lachen war. Und auch mein Schwiegervater wußte es.
Xiaojia kam völlig verstört ins Zimmer zurück: »Vater, warum lachen die beiden so? Haben sie die Pisse einer verrückten alten Tante gesoffen? Huang Tu hat mir einmal erzählt, wenn man das täte, könnte man nicht mehr aufhören zu lachen. Also, das muß es sein, ganz bestimmt – aber welche alte Tante war es?«
Mein Schwiegervater sagte, an meine Adresse und nicht an die seines Sohnes gerichtet: »Sohn, man muß sich selbst respektieren. Das ist etwas, das ich auf meine alten Tage gelernt habe. Selbst wenn der Präfekt von Gaomi ein ganz hohes Tier ist, selbst wenn er ein mit Kristallperlen und Pfauenfedern geschmückter Offizier ersten Ranges ist, selbst wenn seine Gemahlin eine Nachfahrin des berühmten kaiserlichen Ministers Zeng Guofan ist – es gilt trotzdem: Eine lebende Maus ist besser als ein toter Präfekt. Ich, dein Vater, habe noch kein offizielles Amt bekleidet, aber ich, dein Vater, habe schon so vielen würdevollen Beamten mit roten Mützen den Kopf abgeschlagen, daß man zwei große Bambuskörbe damit füllen könnte. Und ich, dein Vater, habe schon so vielen einflußreichen Aristokraten den Kopf vom Rumpf getrennt, daß man auch damit mühelos zwei große Bambuskörbe füllen könnte.«
Der verblüffte Xiaojia sperrte den Schnabel auf und war sich nicht sicher, ob er seinen Vater richtig verstanden hatte. Ich dagegen verstand seine Worte nur zu gut. Die Jahre mit Seiner Exzellenz Qian hatten mir ein untrügliches Gespür für so etwas verliehen. Mir wurde ganz kalt ums Herz, und ich bekam am ganzen Körper eine Gänsehaut. Alles Blut wich aus meinem Gesicht. Seit einem halben Jahr kreisten die Gerüchte über meinen Schwiegervater wie ein Wirbelwind durch die Straßen. Auch mir waren sie bereits zu Ohren gekommen. All meinen Mut zusammennehmend fragte ich: »Herr Schwiegervater – geht Ihr wirklich diesem Beruf nach?«
Mein Schwiegervater fixierte mich fest mit seinen Sperberaugen, und als er antwortete, war es, als spuckte er eiserne Erbsen aus: »Jedem – Metier – seinen – Meister! Weißt du, wer das gesagt hat?«
»Das ist eine Volksweisheit, die jeder kennt.«
»Nein«, sagte mein Schwiegervater Zhao Jia. »Es gibt eine Person, die dieses Wort eigens für mich geprägt hat. Wißt ihr, wer sie ist?«
Ich antwortete mit einem Kopfschütteln.
Mein Schwiegervater stand auf. In beiden Händen hielt er die Gebetskette. Der narkotisierende Geruch des Sandelholzes erfüllte den Raum. Sein hageres Gesicht wirkte wie von einer Goldschicht überzogen. Mit Stolz und Loyalität und mit tiefempfundener Dankbarkeit sagte er: »Die Kaiserinwitwe Cixi!«
Kapitel 2:
Zhao Jias großspurige Rede
»Wenn das Sternbild des Schützen versinkt, wird das Sternbild des Großen Wagens geboren. So heißt es. Der Mensch gehorcht dem Gesetz des Königs wie das Gras dem Wind.
Wenn das Herz des Menschen das Eisen ist, so sind die Gesetze der Schmelzofen. Selbst der schwerste Stein wird von der Masse des Eisens zerdrückt. (Weise Worte!)
Ich bin der Erste Foltermeister der Großen Qing-Dynastie, groß ist mein Ruf in den Hallen des Justizministeriums. (Geht und fragt selbst!)
Jahr um Jahr dreht sich dort das Karussell der Beamten, wie die Bilder einer Laterna Magica.
Nur ich, der alte Zhao, bin immer auf meinem Posten, und diene meinem Land als Henker. (Köpfe abschlagen ist wie Gemüsehacken, Haut abziehen wie eine Zwiebel schälen).
Kein Feuer läßt sich in Watte packen, und schwer nur vergräbt man einen Toten im Schnee.
Heute stoße ich das Fenster auf und erzähle frei von der Leber weg, darum spitzt die Ohren, ihr kleinen Leute, und hört gut zu.«
Arie »Laterna Magica«
aus der Katzenoper Die Sandelholzstrafe
1.
Werte Schwiegertochter, was reißt du die Augen so auf? Hast du gar keine Angst, daß sie dir herausfallen? Dein Schwiegervater übt tatsächlich diesen Beruf aus, seitdem er mit sechzehn Jahren den Dieb, der die kaiserliche Schatzkammer ausrauben wollte, zweigeteilt hat. Jüngst erst, mit sechzig Jahren, habe ich den Attentäter, der Yuan Shikai töten wollte, bei lebendigem Leib in Stücke gehackt. Volle vierundvierzig Jahre
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