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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Sie verbeugen sich in einem fort. Einer der jüngeren und unerfahrenen Soldaten beginnt hinter vorgehaltener Hand zu kichern. Mich widert ihr scheinbar kultiviertes, aber völlig unangebrachtes Verhalten an, und ich sage mit barschem Ton: »Schluß mit den Höflichkeiten, wenn wir hier so weitermachen, dann überlebt der da niemals bis zum Zwanzigsten und das heißt, daß du«  – ich zeige auf Cheng  – »und du«  – ich deute auf Su  – »und ihr alle«  – ich lasse meine Finger einmal die Runde machen  – »und auch ich, daß wir alle mit ihm beerdigt werden!« Nervosität macht sich breit. Die beiden Ärzte stehen immer noch mit großen Augen und offenen Mündern da. Ich befehle Cheng Buyi: »Du bist Chirurg, du hast die Ehre, anzufangen.«
    Der Angesprochene schleicht auf Zehenspitzen zu Sun Bing hin wie ein Hund, der sich an den Metzgerladen heranschleicht. Zunächst befühlt er das obere Ende des Sandelholzstabs, dann stellt er sich hinter Sun Bing und examiniert das andere Ende. Als er den Stab leicht bewegt, quillt eine grünliche, schaumige Masse aus dem Körper, deren pestilenzartiger Gestank einem fast das Bewußtsein raubt. Die Fliegen werden noch aufgeregter, ihr Summen ist ohrenbetäubend. Cheng Buyi kommt zu mir zurück, seine Knie sind weich, und wollen sich von selbst hinknien. Die Muskeln seines hageren Gesichts zucken und sein Mund ist ganz schief, als würde er jeden Augenblick losheulen. Schließlich preßt er hervor: »Exzellenz ... seine inneren Organe sind bereits zerstört, ich wage mich nicht daran ...«
    »Unsinn!« sagt Zhao Jia mit vor Wut aufgerissenen Augen. Er fixiert Cheng Buyi mit einem eisigen Blick und sagt in bestimmtem Ton: »Ich möchte wagen, mein Wort darauf zu geben, daß kein lebenswichtiges Organ beschädigt ist.«
    Er wirft mir einen Blick zu und fährt fort: »Wenn etwas in seinem Inneren verletzt worden wäre, wäre er längst verblutet, keinesfalls hätte er so lange überlebt. Ich bitte Exzellenz, sich selbst davon zu überzeugen.«
    Ich überlege einen Augenblick, bevor ich antworte: »Zhao Jias Argument klingt vernünftig. Sun Bings Verletzungen sind oberflächlich, der Austritt von Blut und Eiter rührt von der äußeren Infektion der Wunden her. Das sind nichts anderes als eine äußere Behandlung erfordernde Symptome. Wer, wenn nicht du, sollte das behandeln können?«
    »Exzellenz ... Exzellenz ...« Er zögert. »Euer ergebener Diener ... ich ...«
    »Papperlapapp, ›Exzellenz‹, ›Diener‹  – Schluß damit. Wir vergeuden unsere Zeit! Mach dich an die Arbeit und stell dir vor, du bist ein Tierarzt, der ein Pferd operiert!«
    Cheng Buyi nimmt allen Mut zusammen, streift seinen langen Mantel ab und läßt ihn zu Boden fallen. Dann steckt er sich den Zopf fest, krempelt die Ärmel hoch und bittet um Wasser, um sich die Hände zu waschen. Xiaojia läuft die Rampe hinunter, kommt mit einem Eimer Wasser zurück und ist Cheng Buyi beim Händewaschen behilflich. Der Arzt öffnet seine weiße Tasche und bringt ihren Inhalt ans Licht: ein großes und ein kleines Skalpell, eine lange und eine kurze Schere, eine dicke und eine schmale Pinzette, zwei Fläschchen, eins mit Alkohol, eins mit Medizin. Außerdem hat er noch Baumwolle und eine Rolle Zellstoff dabei.
    Zuerst schneidet er mit der Schere Sun Bings Kleidung auf. Dann gibt er etwas Alkohol auf einen Wattebausch und reibt damit die Stellen, an denen der Stab aus Sun Bings Körper herausragt, gründlich ab. Noch mehr Blut und Eiter quillt aus den Wunden, noch mehr Gestank macht sich breit. Sun Bing zuckt und zittert heftig und seinem Mund entfahren solche Schmerzensschreie, daß es die Kopfhaut zusammenzieht und eiskalte Schauer über den Rücken jagt.
    Der Arzt scheint sein Selbstvertrauen wiedergewonnen zu haben. Das Gefühl, einer ehrenvollen Aufgabe nachzugehen, hat offensichtlich seine Angst besiegt. Er hält inne und dreht sich zu mir um, diesmal ohne Anstalten zu machen, sich niederzuknien, und sagt in herablassendem, geradezu arroganten Ton zu mir: »Exzellenz, wenn man ihm diesen Stab entfernen dürfte, könnte ich dafür garantieren, daß er nicht nur bis übermorgen überlebt, sondern sich möglicherweise gänzlich erholt ...«
    Ich schneide ihm das Wort ab und sage sarkastisch: »Wenn du es darauf anlegst, selbst von diesem Stab durchbohrt zu werden, dann ziehe ihn ruhig heraus!«
    Sein Gesicht wird sofort wieder aschfahl, er buckelt wieder vor mir und lächelt unterwürfig. Er

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