Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)
Planung der ganzen Prozedur zu bewundern. Während der Unruhe, die unmittelbar nach Ausführung der Exekution auf dem Platz herrschte, fand er die Nerven, diese Ginsengbrühe zuzubereiten. Vermutlich hat er die Medizin sogar schon, bevor er zur Exekution schritt, in einer Ecke der Hütte köcheln lassen. Er weiß genau, was er tut, und ist für alle Eventualitäten gewappnet.
Xiaojia nimmt die Schüssel in die eine Hand und in die andere einen Löffel, hält Sun Bing die Schüssel unter, um ihm die Suppe einzuflößen. Kaum, daß der Löffel Sun Bings Lippen berührt, sperrt dieser gierig den Mund auf wie ein blinder Welpe, der die Brustwarze seiner Mutter sucht. Xiaojia vergießt etwas von der Brühe und sie läuft Sun Bing über das Kinn, an dem einst sein herrlicher Bart sproß.
Zhao Jia sagt ärgerlich: »Vorsichtig!«
Doch Xiaojia, dieser Hunde- und Schweineschlächter, erweist sich als nicht besonders geschickt für diese feinmotorische Aufgabe, auch der zweite Löffel geht daneben.
»Was tust du denn da!« Zhao Jia will keinen weiteren Tropfen des wertvollen Ginsengs vergeuden. Er übergibt Xiaojia die Laterne und sagt: »Nimm du die Laterne, ich übernehme das Füttern!«
Da tritt Meiniang vor und nimmt ihm die Schüssel aus der Hand. Mit sanfter Stimme sagt sie: »Vater, du hast so schrecklich gelitten! Nimm ein bißchen Ginsengsuppe, dann geht es dir wieder besser ...«
Sie hat Tränen in den Augen.
Zhao Jia hält die Laterne hoch, Xiaojia hebt Sun Bings Kinn an und Meiniang schöpft einen Löffel voll Ginsengbrühe und flößt sie ihrem Vater ein, ohne einen Tropfen zu verschütten. Es sieht aus, als würden drei treusorgende Familienangehörige einen Kranken versorgen.
Bald ist die Schale leer und es kommt wieder Leben in Sun Bing. Sein Atem geht nicht mehr so schwer und sein Hals vermag das Gewicht seines Kopfes wieder zu tragen. Er spuckt auch kein Blut mehr und sieht sogar etwas weniger aufgedunsen aus. Meiniang gibt Xiaojia die Schüssel zurück und schickt sich an, ihrem Vater die Fesseln zu öffnen. Zärtlich flüstert sie ihm zu: »Vater, hab keine Angst, wir gehen jetzt nach Hause ...«
Mein Kopf ist leer, ich weiß nicht, wie ich mit dieser Situation umgehen soll. Doch Zhao Jia, entschlossen und gnadenlos, übergibt seinem Sohn die Laterne und stellt sich zwischen Vater und Tochter. Seine Augen haben einen kalten Glanz, und mit einem gezwungen Lachen sagt er: »Schwiegertochter, komm endlich zur Besinnung! Dieser Mann ist ein Schwerverbrecher, ein Gefangener des Hofes, wenn du ihn befreist, hat das die Auslöschung deiner Familie bis ins neunte Glied zur Folge.«
Meiniang streicht erst ihm und dann mir mit der Hand leicht über das Gesicht, dann kniet sie sich hin und stößt erbarmungswürdige Klagelaute aus. »Laßt meinen Vater frei«, fleht sie, »ich bitte Euch, laßt ihn gehen ...«
Im Mondlicht kann ich sehen, wie sich das ganze, unterhalb der Plattform versammelte Volk wie ein Mann auf die Knie wirft. In allen möglichen Tonlagen rufen sie durcheinander, doch alle rufen das gleiche: »Laßt ihn frei ... Laßt ihn frei ...«
In mir tobt es, ich stöhne auf. Liebe Leute, meine Güte, ihr versteht diese Situation überhaupt nicht. Ihr versteht nichts von der Natur Sun Bings, alles was ihr seht, ist, wie schrecklich er leidet. Habt ihr nicht gesehen, wie gierig er seine Medizin getrunken hat? Er will noch nicht sterben, und er will auch nicht weiterleben. Wenn er leben wollte, hätte er sich gestern nacht aus dem Gefängnis befreien lassen und sich klammheimlich aus dem Staub gemacht. Aber was soll ich tun? Ich muß abwarten. Jetzt, da er diese grauenhafte Tortur über sich hat ergehen lassen, ist Sun Bing ein Heiliger geworden, und dem Willen eines Heiligen kann ich mich nicht entgegenstellen. Ich winke die Wachen herbei und erteile ihnen mit gedämpfter Stimme die Anweisung, Sun Bings Tochter von der Plattform hinunterzubefördern. Sie wehrt sich mit Händen und Füßen und flucht dabei wie ein Kutscher, aber gegen vier Männer kommt sie nicht an. Sie ziehen, stoßen und schleppen sie die Rampe hinunter. Ich weise meine Leute an, sich in zwei Gruppen aufzuteilen, die eine Hälfte bleibt auf der Plattform und hält Wache, die anderen sollen schlafen gehen. Alle zwei Stunden sollen sie sich ablösen und sich zwischenzeitlich in dem leeren Seitengebäude der Militärakademie ausruhen. Den für den Moment verbleibenden Schergen schärfe ich ein, daß ihre wichtigste Aufgabe die
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