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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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fährt fort, Sun Bings Wunden mit dem in Alkohol getränkten Wattebausch auszuwaschen. Anschließend entnimmt er dem zweiten Fläschchen mit einem Bambusrohr eine dunkelbraune Salbe, die er ihm in die Wunden reibt.
    Als er seine Behandlung beendet hat, zieht er sich mit einer tiefen Verbeugung zurück. Nun befehle ich Su Zhonghe, sich ans Werk zu machen. Er reckt seine Hand mit den langen Fingernägeln, um Sun Bings Handgelenk zu erreichen und ihm den Puls zu fühlen. Diese hochgereckte Hand, die eingezogenen Schultern und der hängende Kopf, der gründlich nachzudenken scheint, lassen ihn lächerlich und bedauernswert zugleich wirken.
    Nach dieser Untersuchung sagt er: »Verehrter Herr Präfekt, der Patient hat rote Augen, einen schlechten Atem, seine Lippen sind aufgesprungen und seine Zunge ist trocken. Sein Gesicht ist aufgedunsen, er hat starkes Fieber  – all dies sind Symptome eines starken inneren Feuers; sein Puls ist weit und hohl, wenn man draufdrückt, ist es, wie wenn man eine Frühlingszwiebel in der Hand zwirbelt, das bedeutet, es handelt sich um einen unruhigen und schwachen, anämischen Puls. Die meisten Quacksalber sind nicht in der Lage, den Patienten richtig zu diagnostizieren, geschweige denn, ihn richtig zu behandeln. Ich sage, in diesem Fall muß man bei den Fiebersymptomen ansetzen. Alles andere kann gefährlich werden!«
    Su Zhonghe macht seiner Familie von drei Generationen berühmter Ärzte alle Ehre, sein Wissen ist offenbar alles andere als durchschnittlich. Voller Bewunderung für seine beeindruckende Analyse, sage ich eilig: »Das Rezept, bitte!«
    »Man muß das Yin stärken und die Zirkulation des Blutes verbessern«, sagt Su mit Nachdruck. »Ich empfehle Ginsengbrühe. Wenn man ihm jeden Tag drei Schalen reiner Ginsengbrühe verabreicht, denke ich, Euer ergebener Diener, wird er sicherlich in der Lage sein, bis übermorgen vormittag zu überleben. Um ganz sicher zu gehen, werde ich ihm noch ein zusätzliches Medikament zur Stärkung des Yin verabreichen.« Er öffnet seinen Kräutersack und entnimmt ihm mit drei Fingern verschiedene getrocknete Kräuter und geriebene Wurzeln, die er ohne abzuwiegen auf einem Papier mischt und in drei kleine Päckchen teilt. Er blickt sich um und scheint zu überlegen, wem er sie wohl anvertrauen kann. Schließlich hält er sie mit großer Vorsicht vor mich hin und sagt leise: »Eine Stunde nach der Verabreichung der Ginsengsuppe in Wasser aufgelöst einnehmen lassen.«
    Ich signalisiere den beiden Ärzten mit einem Wink meiner Hand, daß sie gehen können. Erleichtert und unter zahlreichen Verbeugungen eilen sie davon, ohne recht auf den Weg zu sehen.
    Mit dem Finger auf die frenetisch um Sun Bing herumschwirrenden Fliegen deutend, sage ich zu dem Papierfalter Chen »Flinke Hand« und dem pockennarbigen Schneider Zhang: »Ich nehme an, ihr wißt, was ihr zu habt.«

5.
    Um die Mittagszeit, als die Sonne ihren höchsten Stand erreicht, haben Chen und Zhang auf der Plattform einen Käfig aus Strohmatten um Sun Bing herumgebaut, der vorn einen Vorhang aus Gaze hat. Auf diese Weise ist Sun Bing vor der Glut der Sonne und der Belästigung durch die Fliegen geschützt. Um die Hitze noch besser abzuhalten, haben Zhao Vater und Sohn die Strohmatten mit dunklem Stoff verhängt. Schließlich haben die Wachen den Dreck von der Plattform mit Wasser abgeschrubbt, um den furchtbaren Gestank, der die Fliegen anlockt, zu vermindern. Mit Hilfe von Zhao Jia hat Meiniang ihrem Vater eine Schale Ginsengsuppe verabreicht und eine Stunde später die von Su Zhonghe verordnete Medizin. Sun Bing zeigt sich bei der Einnahme seiner Medizin sehr kooperativ; sein Wille zu überleben ist also ungebrochen. Wenn er sterben wollte, müßte er nur den Mund schließen.
    Nach einer Reihe von Behandlungszyklen geht es ihm offensichtlich besser. Ich kann sein Gesicht zwar nicht deutlich sehen, weil es hinter dem Gazevorhang verborgen ist, aber ich kann hören, daß sein Atem ruhiger geworden ist, und der Gestank, der von ihm ausgeht, ist nicht mehr ganz so aggressiv wie am Vormittag. Hundemüde mache ich mich auf den Weg nach unten, noch immer von einer namenlosen Unruhe beseelt. Es gibt keinen Grund zur Sorge, sage ich mir. Seine Exzellenz Yuan hat mir die Aufgabe übertragen, auf Sun Bing aufzupassen und ihn am Leben zu erhalten. Er selbst will nicht sterben. Die beiden Zhaos lassen ihn nicht sterben, Meiniang will nicht, daß er stirbt und allein der Effekt der Ginsengsuppe und der

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