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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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noch den jungen Weizen vor mir, der sich im Wind bog und die Kaulquappen, die im See schwammen, und eine große Unzufriedenheit mischte sich in meine Melancholie. Ich hätte gerne die Träger dazu angehalten, schneller zu laufen, damit ich bald zurück im Yamen wäre, wo ich mir eine Kanne frischen Tee aufbrühen und klassische Poesie lesen wollte. Nur eine schöne Frau an meiner Seite würde mir fehlen.
    Meine Frau stammt aus einer angesehenen Familie und verfügt über große Bildung, aber was die Zärtlichkeiten zwischen Mann und Frau angeht, ist sie kalt und frigide. Ich hatte ihr versprechen müssen, mir keine Konkubine zu nehmen, aber es fiel mir schwer, den leeren Platz im Bett neben mir zu ertragen ... In solche Gedanken versunken, hörte ich irgendwo draußen eine Tür schlagen. Ich streckte meinen Kopf zur Sänfte heraus und sah, daß einer der Läden noch geöffnet hatte, und ich nahm den Geruch nach Wein und Fleisch wahr, der aus dem Inneren des Ladens kam. Ich sah eine junge Frau in einem schlichten weißen Kleid neben der Eingangstür stehen. Sie schimpfte wie ein Rohrspatz, aber mit einer klaren und wohltönenden Stimme. In diesem Moment flog etwas Schwarzes gegen meine Sänfte, und ich hörte die Frau fluchen: »Scher dich zum Teufel, du gierige Katze!«
    Eine streunende Katze schoß wie ein Pfeil auf den Dachvorsprung des gegenüberliegenden Hauses, wo sie sich leckte und dabei auf die andere Straßenseite hinübersah. Meine Garde, die vor der Sänfte herging, schrie laut: »Unverschämtheit! Hast du keine Augen im Kopf? Wagst dich, irgendwelches Zeugs gegen das Banner des Präfekten zu schleudern!«
    Die Frau verbeugte sich eilig und gab zuckersüße Worte der Entschuldigung von sich. Durch den Vorhang hindurch gewahrte ich ihren ganzen Liebreiz. In der trüben Dämmerung ging von ihrer charmanten Beschämung geradezu ein Leuchten aus. Ich verspürte eine gewisse Zuneigung zu dieser unbekannten Person, und ich fragte meine Garde: »Was ist das für ein Laden?«
    »Ich erlaube mir zu antworten, Exzellenz, daß es sich um einen für sein gutes Hundefleisch und seinen süßen Wein in der ganzen Präfektur berühmten Laden handelt. Und diese Frau ist die sogenannte ›Hundefleisch-Xishi‹, Sun Meiniang.«
    »Setzt die Sänfte ab«, sagte ich, »ich bin müde und hungrig. Ich möchte gern in diesem Wirtshaus einen Wein trinken, um mir die Eingeweide zu wärmen.«
    Liu Pu raunte mir zu: »Exzellenz, es heißt doch: ›Ein Ehrenmann setzt seinen Fuß nicht auf unehrenhaften Boden.‹ Ihr solltet solchen Spelunken am Straßenrand nicht die Ehre Eures Besuchs erweisen. Wenn ich mir erlauben darf, Euch zu raten, besser möglichst schnell ins Yamen zurückzukehren, wo Euch die gnädige Frau sicher schon mit Ungeduld erwartet ...«
    »Selbst Seine Majestät der Kaiser geht inkognito auf die Straße, um sich über das Leben der einfachen Leute zu informieren. Ich bin nur ein kleiner Kreispräfekt. Sollte ich mir zu schade dafür sein, mir einen Becher Wein zu genehmigen und meinen Magen zu füllen? Was ist denn schon dabei?«
    Als die Sänfte vor dem Laden abgesetzt worden war, kniete Sun Meiniang nieder. Ich entstieg der Sänfte und hörte sie sagen: »Vergebt mir, Euer Exzellenz, ich einfache Frau des Volkes verdiene den Tod. Diese gierige Katze hat mir einen frischen Fisch stibitzt und ich war so zornig, daß ich nicht richtig hingesehen habe und mit meinem Stein aus Versehen Eure Sänfte getroffen habe. Bitte verzeiht mir ...«
    Ich streckte ihr die Hand hin und sagte: »Steht auf, liebe Schwester, ›Unwissend sündigt nicht‹. Wegen einer solchen Kleinigkeit würde ich mir keine Sorgen machen. Ich habe hier anhalten lassen, um in deiner Gaststube einen Wein zu trinken und etwas zu essen. Ich bitte dich, uns nach drinnen zu führen.«
    Sun Meiniang hatte sich bereits erhoben, doch fiel sie sogleich wieder auf die Knie und sagte: »Ich danke Exzellenz für Eure Großmut! Heute morgen sangen die Spatzen vor meiner Tür, doch niemals hätte ich gedacht, daß mit Euch ihre Glückverheißung wahr werden würde.« Dann lief sie der Katze nach und warf ihr einen Fisch hin: »Du gierige Katze«, rief sie. »Du hast mir diesen hohen Besuch beschert, nimm das als Dank!«
    Mit geschickten Gesten zündete sie die Lampen und die Kerzen an und wischte die Tische und Stühle blank. Sie wärmte für mich einen Krug Wein und brachte eine große Platte Hundefleisch herbei. Eine schöne Frau ist im Kerzenlicht noch schöner

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