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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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gedemütigt. Wolken des Hasses verdunkeln seit diesem Tag die Sonne. Ich weine, weine, weine, sie haben mir das Herz gebrochen! Ich hasse, hasse, hasse, daß mir die Brust zerspringt ...!
    Mit ungekünstelter Leidenschaft läßt die Katze der Gerechtigkeit auf der Bühne ihre Stimme, ihre »magische Blume« erblühen, während hinter ihr der Katzenchor zu den Waffen greift und sich in Angriffsstellung bringt. Auf dem Platz lassen lautes Miauen und Füßestampfen den Boden erzittern. Staub wirbelt auf. Ich beobachte die Szene mit wachsender Besorgnis. Der Himmel scheint sich zu verdüstern und bei dem Gedanken an Liu Pus warnende Worte läuft es mir kalt den Rücken hinunter. Doch angesichts des wie vom Teufel besessenen Mobs auf und unterhalb der Bühne fühle ich mich außerstande, zu handeln. Mit einer Hand kann man ein galoppierendes Pferd nicht zum Stehen bringen, mit einem Eimer Wasser kein Präriefeuer löschen. So, wie die Sache steht, muß ich mich dem Willen des Himmels überlassen und die Zügel locker lassen.
    Ich ziehe mich bis vor die Hütte zurück und beobachte, was weiter geschieht. Auf der Plattform steht nur noch Zhao Jia, mit einem Sandelholzstab in der Hand, und bewacht stumm Sun Bing. Dessen Stöhnlaute werden von den lauten Schreien der Menge übertönt, doch wenigstens weiß ich, daß er noch am Leben ist. Ja, sein Überlebenswille ist stärker denn je. Man erzählt sich, daß es einmal einen Bewohner von Gaomi gab, der fern von seiner Heimat auf dem Sterbebett lag. Als er vor seiner Tür jemanden mit Katzenstimme singen hörte, sprang er sofort munter und mit leuchtenden Augen von seinem Krankenlager auf. Ach, Sun Bing, nun singt man für dich und dafür hat es sich gelohnt, daß du so lang durchgehalten hast. All das geschieht zu deinen Ehren. Ich lasse meinen Blick über die Menge schweifen und entdecke den idiotischen Sohn Zhao Jias, und sehe, wie Xiaojia am Gerüst der Bühne hinaufklettert und dabei lautstark miaut. Er läßt sich heruntergleiten wie ein Bär und klettert wieder hinauf wie eine Katze. Ich entdecke Sun Meiniang, ich sehe, wie sie mit wirrem Haar, mit einem Stock in der Hand auf den Rücken eines Wachsoldaten eindrischt. Ich weiß nicht, welches Ende dieser Wahnsinn nehmen wird. Ich hebe den Kopf, um am Stand der Sonne die Uhrzeit abzulesen und stelle fest, daß sich eine schwarze Wolke vor die Sonne geschoben hat.

8.
    Etwa zwanzig bis an die Zähne bewaffnete deutsche Soldaten kommen aus der Tongde-Akademie herausgestürmt. Ich unterdrücke einen Aufschrei  – ich weiß, eine große Katastrophe steht bevor. Eilig laufe ich ihnen entgegen und es gelingt mir, einen Offizier mit gezogener Pistole festzuhalten, dem ich die Situation erklären möchte. »Offizier ... Exzellenz ...«, verdammt noch eins, ich weiß nicht, wie ich diesen Kerl anreden soll, der grüne Augen hat, so grün wie die Enden einer Frühlingszwiebel. Er brabbelt irgend etwas in ihrer unverständlichen Sprache ... und schon hat er mich mit der flachen Hand zur Seite geschoben.
    Die Soldaten rennen die Plattform hinauf, unter ihren schweren Schritten erbeben die Holzplanken und die von dicken Pinienstämmen getragene Plattform beginnt zu schwanken, als könne sie das plötzliche Gewicht nicht aushalten. Ich rufe den Leuten zu: »Hört auf  – aufhören!« Aber meine Stimme ist zu schwach. Es ist, als würde ich Wattebäusche gegen dicke Mauern werfen.
    Auf der Plattform reihen sich die deutschen Soldaten dicht nebeneinander auf, so daß sie direkt der Bühne gegenüberstehen, auf der ein wilder Tumult herrscht. Einige als Katzen verkleidete Darsteller ringen in einem dichten Knäuel mit Darstellern, die als Wölfe und Tiger aufgemacht sind. Inmitten des Durcheinanders sitzt auf einem hohen Stuhl die Katze der Gerechtigkeit und begleitet den Kampf singend. Auch das ist ein besonderes Merkmal der Katzenoper: Jede Kampfszene wird von Anfang bis Ende von Gesang begleitet. Manchmal hat der Inhalt des Gesangs keinerlei Bezug zu dem tatsächlichen Geschehen auf der Bühne, genauso wie die Kämpfe oft nur zu einer Art tänzerischer Untermalung des Gesangs dienen.
    O weh, o weh, Vater komm, o weh, o weh, Mutter  – O weh, mein kleiner Junge  – Die kleinen Krallen kratzen mich  – Der Kleine hat ganz schöne Kräfte  – Der Arme, der Arme, er stirbt  – Aus den Augen fließt in zwei Bächen das Blut ...
    Ich wende mich mit einem flehenden Blick an die deutschen Soldaten. Deutsche Soldaten, man

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