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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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wie Feuer. Welches Wohlgefühl! Schenken Sie mir noch etwas Wein nach, meine Dame.
    Meine Hände hatten dem Scheusal erstmal seinen Dünkel ausgetrieben. Er war nur noch ein räudiger Köter, der den Schwanz einklemmt. Doch man konnte sehen, daß er im Grunde seines Herzens nicht nachgab. Nein, er hatte noch lange nicht kapituliert, das sagten mir seine tief in den Höhlen liegenden Augen, diese Augen, die fast kein Weißes haben, in denen es grünlich flackert, wie von Irrlichtern. Ein gemeiner Feigling ist dieser Bluthund ganz gewiß nicht. Raten Sie, was er mir geantwortet hat, als wir ankamen und ich ihn fragte: »Wie fühlt Ihr Euch, Großmutter Zhao?« Dieser Teufel lachte nur spöttisch und sagte: »Seine Exzellenz hat eine gute Vorstellung abgegeben. Ich werde sie Euch eines Tages vergelten.« »Dieser Tag wird nicht kommen«, sagte ich. Eher schlucke ich Gold, erhänge mich am nächsten Baum, nehme Gift oder schneide mir die Gurgel durch. Nie werde ich ihm in die Hände fallen! Er erwiderte: »Ich fürchte nur, daß dies irgendwann nicht mehr in Eurer Hand liegen wird, Euer Exzellenz.« Und er ergänzte: »Exzellenz, da hat es schon viele vor Euch gegeben.«
    Sie haben recht, gnädige Frau, so ist es. Als ich dieses Scheusal schlug, habe ich mir nur die Hände schmutzig gemacht. Ich, ein würdevoller Präfekt, ein vom Hof bestallter Beamter, ich sollte mich mit solchen Schurken nicht anlegen. Wer ist dieser Kerl schon? Ein Schwein? Selbst ein Schwein sieht besser aus. Ein Hund? Selbst ein Hund hat mehr Ehre im Leib. Doch was soll ich machen? Seine Exzellenz verlangte ausdrücklich, daß kein anderer als ich ihn hole, und wenn man von einem Beamten ersten Grades einen Befehl erhält, bleibt einem nichts anderes übrig, als Folge zu leisten. Doch von denen, die ich nach ihm geschickt hatte, hat er sich nicht bitten lassen, also mußte ich wohl oder übel selber gehen. Es ist offensichtlich, daß ich, der Präfekt von Gaomi, in den Augen eines Yuan Shikai weniger wert bin als ein Henker.
    Vor der großen Halle ergriff ich die Hand des Scheusals; eine Hand so heiß wie glühende Kohlen und so weich wie Teig. Nicht die Hand eines gewöhnlichen Menschen, das hatte ich auch nicht erwartet. Ich wollte ihn mit mir in die Halle ziehen, so daß es aussähe, als wären wir uns einig. Er sollte nicht auf die Idee kommen, sich zu beschweren. Doch sanft, aber entschieden entzog er sich mir. Ein geheimnisvolles Lächeln umspielte seinen Mund, ich wußte nicht, was für ein Ränkespiel er in seinen Gedärmen ausbrütete. Er nahm die Gebetskette aus der Sänfte, hängte sie sich um den Hals, dann hob er sich den schweren Sandelholzstuhl mit den Beinen nach oben auf den Kopf. Dieser Wicht, der aussah, als könnte ihn jeder Windhauch sofort umblasen, hatte überraschenderweise keine Schwierigkeiten damit, einen so schweren Holzstuhl auf dem Kopf zu tragen. Unter der Last seines Talismans wankend zog er also in die große Halle ein. Ich folgte ihm mit einem gewissen Unbehagen. Ich konnte die Verblüffung auf dem Gesicht Seiner Exzellenz Yuan, der am Kopfende der Halle neben Knobel saß, sehen. Knobel, Generalgouverneur von Jiaozhou, dieser deutsche Bastard, verzog das Gesicht zu einer Grimasse.
    Den Stuhl auf dem Kopf, kniete die Bestie in der Mitte der großen Halle nieder und sagte mit erhobener Stimme: »Der ehemals als Scharfrichter im Tribunal des Justizministeriums angestellte und von Ihrer Majestät der Kaiserinwitwe gnädigst in den Ruhestand entlassene und in der Heimat die Altersruhe suchende einfache Mann des Volkes Zhao Jia macht Seiner Exzellenz seine Aufwartung!«
    Seine Exzellenz Yuan stand hastig auf, verließ seinen Platz, und marschierte, den dicken Bauch vorneweg zu dem Scheusal hin. Eigenhändig nahm er ihm den Stuhl ab. Als ich sah, daß er Schwierigkeiten damit hatte, ihn zu halten, lief ich eilig zu ihm, um ihm zu helfen. Gemeinsam drehten wir den Stuhl um und setzten ihn mit aller gebotenen Sorgfalt auf den Boden. Seine Exzellenz Yuan schwang die Hufeisenärmel zurück, legte die Hände auf seinen Hut und kniete zum Kotau nieder: »Euer Diener Yuan Shikai, Provinzgouverneur von Shandong wünscht Ihrer Majestät der Kaiserinwitwe und Seiner Majestät dem Kaiser ein langes Leben!«
    Ich stand wie vom Donner gerührt daneben. Erst als Seine Exzellenz Yuan die Riten vollzogen hatte, begriff ich, daß ich mich eines großen Vergehens schuldig gemacht hatte, einer schweren Mißachtung der kaiserlichen

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