Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
Vom Netzwerk:
des mysteriösen Reichtums der Schatzmeister bekannt. Seither werden die Körperöffnungen der Schatzmeister beim Verlassen der Schatzkammer genau inspiziert. Als der Kaiser von dieser Angelegenheit erfuhr, war er außer sich vor Wut, und er erließ den Befehl, alle Schatzmeister zu exekutieren und ihren Familienbesitz zu beschlagnahmen. Mit der Exekution der Schatzmeister wurde die Großmutter beauftragt, die sich eine besondere Strafe auszudenken hatte. Es wurde beschlossen, den Dieben einen rotglühenden Eisenstab in den Hinterausgang einzuführen und sie so bei lebendigem Leib zu Tode zu schmoren. Nur der Schatzmeister mit dem großen Mund sollte öffentlich zweigeteilt werden, um vor dem Volk ein Exempel zu statuieren.
    Am Tag der Hinrichtung drängten sich die Menschenmassen auf dem Richtplatz vor dem Gemüsemarkt. Die Leute waren der vielen Enthauptungen müde, jetzt bekamen sie endlich etwas Neues zu sehen. Die Oberaufsicht über die Hinrichtung hatte der Vizeminister des Justizministeriums, Seine Exzellenz Xu, und die Anwesenheit des Präsidenten des obersten Gerichtshofs, Seiner Exzellenz Sang, trug zur besonderen Feierlichkeit des Ereignisses bei. Die Henker hatten zur Vorbereitung der Hinrichtung die halbe Nacht durchgearbeitet; die Großmutter hatte eigenhändig das große Beil auf Hochglanz poliert, und da die Kleine Tante gerade gestorben war, mußten sich die Große Tante und die Zweite Tante allein um die Herrichtung von Holzblock, Seil und dergleichen kümmern. Ursprünglich hatte ich angenommen, daß man sich zur Ausführung der Strafe eines Schwertes bediente, doch die Großmutter klärte mich auf, daß man nach den Lehren unseres Patrons für das Halbieren stets ein Beil einzusetzen hatte. Als es soweit war, hieß mich die Großmutter zur Sicherheit doch noch ein Schwert mitzunehmen.
    Der Schatzmeister wurde zum Schafott gebracht. Der Kerl hatte sich aus Angst vor den Schmerzen sinnlos betrunken und präsentierte sich in einem völligen Rauschzustand, rotäugig und lallend, wie ein durchgedrehter Ochse. Seine riesigen Schultern entfalteten ungeahnte Kräfte, und die Große und die Zweite Tante hatten enorme Mühe, ihn festzuhalten. Sobald er losbrüllte, applaudierten die Zuschauer, und je mehr sie applaudierten, um so wahnsinniger gebärdete er sich. Es kostete uns gehörige Anstrengungen, ihn auf den Holzblock niederzudrücken. Die Große Tante hielt oben seinen Kopf fest und die Zweite Tante seine Beine. Er zeigte sich überhaupt nicht gefügig, schlug wild um sich und trat mit seinen hufeisenschweren Füßen nach uns. Er wand sich wie eine Schlange und bäumte sich auf wie ein Wurm. Der Oberaufseher war etwas ungehalten und wartete nicht mehr ab, bis wir den Kerl ordentlich ausgestreckt hatten. Als er übereilt den Befehl zur Hinrichtung erteilte, nahm die Großmutter das mächtige Henkerbeil, holte weit aus und ließ es niedersausen. Ein weißer Blitz leuchtete für Sekunden auf. Als die Großmutter das große Beil erneut hob, war es in der Menge totenstill  – erst als sie das Beil zu Boden fallen ließ, ging ein Sturm der Begeisterung los. Ich hörte ein Zischen und sah eine rote Fontäne. Die Gesichter der Großen Tante und der Zweiten Tante wurden mit heißem Blut vollgespritzt. Aber noch war der Schatzmeister nicht in zwei Teile gespalten und die Arbeit war nicht ordnungsgemäß ausgeführt. In dem Moment, als das Beil niederging, hatte er sich gekrümmt, so daß sein Bauch nur halb durchtrennt wurde. Seine Schmerzensschreie übertönten die Hurrarufe der Schaulustigen. Seine Eingeweide pulsierten aus seinem Leib heraus und besudelten den Holzblock. Die Großmutter wollte das Beil wieder anheben, doch sie hatte sie nach dem Hieb so kraftvoll nach unten geschleudert, daß das Blatt tief und fest im Holzblock feststeckte. Der Griff des Beils war voller Blut und so glitschig wie ein Fisch. Er bekam es einfach nicht heraus. Die Menge buhte. Die Gliedmaßen des Schatzmeisters führten einen zuckenden Tanz auf, seine irren Schreie erschütterten Mark und Bein. Bei diesem Anblick trat ich kurzentschlossen, ohne die Instruktionen der Großmutter abzuwarten, vor, nahm das Schwert, zielte entschlossen auf die vorhandene Kerbe, biß die Zähne zusammen, ließ das Schwert heruntersausen und spaltete den Schatzmeister in zwei Hälften. Die Großmutter erhob sich, wandte sich dem Oberaufseher über die Hinrichtung zu und rief laut: »Die Strafe ist vollzogen. Seine Exzellenz möge sich davon

Weitere Kostenlose Bücher