Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)
den Vorgaben seiner Vorgesetzten zu vollstrecken, nicht aber, sie sich auszudenken.«
Seine Exzellenz Yuan lachte schallend. Als er sich wieder gefangen hatte, sagte er sehr freundlich: »Großmutter Zhao, Ihr seid wohl um das Ansehen Eurer Familie besorgt und wollt deshalb diese Aufgabe nicht übernehmen?«
Dieser Henker war wirklich ein durchtriebener Teufel. Er hörte sehr wohl die Drohung hinter den scheinheiligen Worten Seiner Exzellenz heraus und erkannte die bösen Absichten hinter der freundlichen Miene. Deshalb fiel er sofort wieder auf die Knie und sagte: »Meine Wenigkeit wagt es nicht – meine Wenigkeit hat sich bereits an seinem Heimatort zur Ruhe gesetzt –, ich möchte den Kollegen vor Ort nicht ihren Broterwerb streitig machen.«
»Das hättest du dir früher überlegen müssen«, sagte Seine Exzellenz Yuan. »Aber bei uns heißt es, daß die Fähigen mehr arbeiten müssen als andere.«
Das Scheusal entgegnete: »Da Exzellenz so große Stücke auf meine Wenigkeit hält, werde ich Euch gerne mein Unvermögen demonstrieren.«
»Schluß damit. Keine weiteren Umschweife. Zähle uns alle Foltermethoden auf, mit denen du in der Vergangenheit Erfahrungen gesammelt hast, offiziell oder nicht offiziell, aber sprich langsam, damit der Dolmetscher es dem Ausländer übersetzen kann.«
»Ich habe von meinen Meistern gelernt«, begann das Scheusal, »daß unter allen Strafen, die unser Gesetz vorsieht, die grausamste das Töten durch Zerstückeln ist.«
»Das ist deine Stärke, ich weiß. Diese Strafe hast du in Tianjin an Qian Xiongfei angewendet; das Zerstückeln ist nicht schlecht, aber man stirbt doch relativ schnell dabei.«
Bei diesen Worten machte Seine Exzellenz Yuan eine bedeutungsvolle Geste in meine Richtung. Gnädige Frau, Seine Exzellenz Yuan ist ein durchtriebenes Schlitzohr, er hat seine Augen und Ohren überall, und er weiß mit Gewißheit, daß Xiongfei mein jüngerer Bruder war. Deshalb blickte er mich mit diesem feinen Lächeln an. Auf seinem Gesicht lag ein Lächeln, doch sein Blick war giftig wie der Stachel eines Skorpions. Als ob er sich plötzlich erinnern würde, fragte er: »Präfekt von Gaomi, war dieser Qian Xiongfei, der ein Attentat auf mich verübt hat, nicht ein Cousin von Euch?«
Ach, gnädige Frau, es war, als hätte mich der Blitz getroffen und mir lief es heiß und kalt den Rücken hinunter. Hilflos warf ich mich auf die Knie und machte einen Kotau nach dem anderen. Meine Dame, heute hat Ihr Ehemann wirklich einiges erdulden müssen! Schließlich riß ich mich zusammen und dachte an das Sprichwort, das unsere Bauern so gerne zitieren: »Schwanz nach oben, egal ob tot oder lebendig.« Ich entschied mich, mein Schuldbewußtsein gar nicht erst zu kaschieren, und sagte: »Ich habe die Ehre Seine Exzellenz darüber aufzuklären, daß Qian Xiongfei mein jüngerer Bruder war, der dritte Sohn der Familie. Da der jüngere Bruder meines Vaters keine Nachkommen hatte, hatte er dessen Erbe angetreten.«
Yuan Shikai nickte und sagte: »Man sagt schon sehr richtig, daß von den neun Söhn des Drachen keiner dem anderen gleicht. Ich habe die Briefe gelesen, die Ihr an ihn geschrieben habt. Ihr seid ein mustergültiger Absolvent der Beamtenprüfungen und werdet nicht zu Unrecht in den beiden höchsten Ranglisten geführt. Eure Briefe an die Familie sind elegante Abhandlungen, vollendet in der Wahl von Worten und Tonlage! Auch er schrieb Euch Briefe – die Ihr allerdings nie zu Gesicht bekommen habt. Darin brach er mit Euch und hat Euch verflucht. Präfekt von Gaomi, Ihr seid klug und gehorsam, und meine Meinung war schon immer, daß Gehorsam von Intelligenz zeugt. Ach, Präfekt, obwohl den Hut, den Ihr auf dem Kopf tragt, keine Federn schmücken, wird er gleich davonfliegen! Steht auf!«
Gnädige Frau, das war ein Tag heute. Ich mußte zeigen, was in mir steckt, durfte keine Sekunde schwach werden. Schenken Sie mir Wein nach, meine Dame, Sie haben keinen Grund, mich am Trinken zu hindern, und ich will trinken, bis ich alles vergessen habe.
Bis dahin hatte ich nur gewußt, daß mein jüngerer Bruder in Tianjin getötet wurde, bei lebendigem Leib zerstückelt. Doch wer hätte ahnen können, daß der Vollstrecker der Strafe kein anderer war als Zhao Jia, diese Bestie? Seinen Feinden begegnet man immer wieder aufs neue, nicht wahr? Nun ist Ihr Ehemann in die Hände Yuan Shikais gefallen, eines durchtriebenen Hundes, heimtückisch und bösartig, und ich fürchte, das
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