Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)
überzeugen!«
Die Exzellenzen waren ganz bleich im Gesicht. Die Große Tante und die Zweite Tante lockerten ihren Griff und standen taumelnd auf. Der untere Teil des Schatzmeisters bewegte sich kaum mehr. Doch sein oberer Teil tat Unglaubliches. Die beiden Exzellenzen hätten es nicht für möglich gehalten, wenn sie es nicht mit eigenen Augen gesehen hätten. Dieser Mann war in einem früheren Leben sicherlich eine Libelle gewesen, die erst fliegt, wenn sie sich ihres unteren Teils entledigt hat. Man konnte mitansehen, wie er sich mit den Händen abstützte und seine obere Hälfte aufrichtete, um wie wild auf dem Schafott herumzuhüpfen. Wir badeten bis oben hin in Blut und Eingeweiden. Das Gesicht des Mannes leuchtete wie eine Goldfolie. Sein großer Mund glich einem auf einer Welle tanzenden Boot, er stieß unverständliche Laute aus und spuckte schaumiges Blut. Den kuriosesten Anblick bot sein Zopf, der sich nach oben bog wie der Schwanz eines Skorpions. Einen Moment lang stand er aufrecht vom Hinterkopf des Unglücklichen ab, dann fiel er schlapp nach unten. Die Menge war verstummt, nur die ganz Mutigen sahen noch zu dem Verurteilten hin. Die meisten wandten die Augen ab, viele mußten sich übergeben. Die Exzellenzen, die der Exekution beigewohnt hatten, bestiegen ihre Pferde und ritten davon. Wir vier, Meister und Schüler standen wie Marionetten auf der Tribüne und bestaunten das bemerkenswerte Schauspiel, das noch minutenlang anhielt. Schließlich fiel er um und gab noch am Boden Klagelaute von sich. Wenn man sich die Augen zuhielt, hörte es sich an wie ein Kind, das nach der Mutterbrust schreit.
3.
Nachdem er diese anschauliche Schilderung der Strafe zu Ende gebracht hatte, hatte der Henker zunächst keine Worte mehr. Speichel hing ihm in den Mundwinkeln und mit rollenden Augen forschte er erwartungsvoll nach dem Gesichtsausdruck von Yuan und Knobel. Vor meinen Augen sah ich noch das Bild des zweigeteilten Schatzmeisters und in meinen Ohren gellten seine Schmerzensschreie. Seine Exzellenz Yuan hatte aufmerksam zugehört, mit halbgeschlossenen Augen und ohne ein Wort zu sagen. Knobel beugte sich zu seinem Dolmetscher und lauschte dessen Gemurmel, während er immer wieder mit einem Kopfnicken zu Yuan oder zu Zhao hinsah. Er sah aus wie ein Adler, der auf einem Felsen sitzt und nach Beute Ausschau hält.
Schließlich begann Seine Exzellenz Yuan zu sprechen: »Exzellenz Herr Generalgouverneur, nach meiner bescheidenen Ansicht sollten wir die Strafe des Zweiteilens zur Anwendung bringen.«
Der Dolmetscher übersetzte mit gesenkter Stimme. Knobel murmelte ein paar ausländische Teufelslaute, und der Dolmetscher sagte: »Der Herr Generalgouverneur möchte wissen, wie lange der Verurteilte nach der Zweiteilung seines Körpers noch am Leben bleibt.«
Seine Exzellenz Yuan bedeutete dem Henker mit einer Kopfbewegung, daß er antworten solle.
Dieser sagte: »Ungefähr so lange, wie es braucht, eine Pfeife zu rauchen. Aber das ist nicht immer so. Es gibt auch welche, die sofort tot sind und liegenblieben wie ein Stück abgehacktes Holz.«
Knobel murmelte wieder dem Dolmetscher etwas in Ohr. Der Dolmetscher sagte: »Der Herr Generalgouverneur sagt, daß diese Strafe ungeeignet ist, da der Verbrecher viel zu schnell stirbt. Wirklich abschreckend kann nur eine Strafe sein, die sowohl außergewöhnlich als auch brutal ist. Der Verurteilte soll extreme Schmerzen erdulden und dennoch nicht allzu schnell sterben. Der Generalgouverneur sagt, er hätte gern eine Strafe, bei der der Verbrecher mindestens noch fünf Tage weiterlebt, genauer gesagt bis zum 20. August, dem Tag, an dem die Eisenbahnstrecke von Qingdao nach Gaomi eingeweiht wird.«
Seine Exzellenz Yuan wandte sich an den Henker: »Denke einmal genau nach. Fällt dir etwas Passendes ein?«
Dieser schüttelte den Kopf: »Es gibt keine denkbare Strafe, die den Verurteilten fünf Tage lang überleben läßt. Auch wenn man ihn hängt, wird er nach kurzer Zeit tot sein.«
Knobel redete wieder auf den Dolmetscher ein, der übersetzte: »Der Generalgouverneur sagt, daß China zwar ein rückständiges Land sei, aber in der Kunst der Folter sehr fortgeschritten. Die Chinesen hätten in dieser Hinsicht ein besonderes Talent. Einen Menschen langsam und unter den schlimmsten Höllenqualen sterben zu lassen sei eine chinesische Kunst, sie bilde die eigentliche Quintessenz des chinesischen Staates ...«
»Schwachsinn«, murmelte Seine Exzellenz Yuan leise vor sich
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