Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)
Willen zu beugen. Seine Messer haben meinem jüngeren Bruder das Fleisch stückweise von den Knochen geschabt. Grauenvoll! Oh wie grauenvoll! Yuan Shikai ist heimtückisch und hinterhältig, ein spitzer Dolchstoß lauert hinter seinem Lächeln. So leicht wird er wird mich nicht davonkommen lassen. Sobald er Sun Bing erledigt hat, wird er Ihren Gatten erledigen, gnädige Frau. Aber auch wenn es den Tod bedeutet – es wird ein glücklicher Tod sein. In Zeiten wie diesen bist du lebendig nur als Hund, erst der Tod macht dich zum Menschen. Seit über zehn Jahren sind wir schon verheiratet, Frau, und obwohl wir bis heute keine Nachkommen gezeugt haben, leben wir harmonisch und in gegenseitigem Respekt. Morgen früh kehren Sie nach Hunan zurück, ich habe den Wagen schon bereitstellen lassen. Meine Familie ist im Besitz von einigen Morgen Reisfeldern und einem strohgedeckten Häuschen mit fünf Zimmern. Das über die Jahre angesparte Vermögen beträgt etwa dreihundert Pfund, das wird genügen, um Sie für den Rest Ihres Lebens einfach zu kleiden und zu ernähren. Wenn Sie fort sind, werde ich eine Sorge weniger haben. Meine Dame, weinen Sie nicht! Wenn Sie weinen, bricht mir das Herz. In diesen verworrenen Zeiten zu leben, ist für das Volk wie für die Mächtigen nicht leicht. Besser ein Hund im Frieden als ein Mensch im Krieg. Meine Dame, wenn Sie in der Heimat angekommen sind, adoptieren Sie den Sohn meines zweiten jüngeren Bruders, er wird bis an Ihr Lebensende für Sie sorgen. Ich habe bereits einen Brief geschrieben, meinem Wunsch wird gewiß entsprochen werden. In Erwartung des Todes ist der Schrei des Vogels voll Trauer; in Erwartung des Todes sind die Worte des Menschen voll Güte. Frau, so etwas dürfen Sie nicht sagen. Wenn auch Sie sterben, wer soll dann für mich das Totengeld verbrennen? Nein, Sie dürfen nicht hierbleiben. Wenn Sie hier sind, würde es mir zu schwer fallen, die notwendige Entscheidung zu treffen.
Gnädige Frau, es gibt eine Sache, für die ich Sie um Verzeihung bitten muß. Ich wollte es Ihnen schon früher sagen, und Sie wissen es ja auch längst, ohne daß ich es Ihnen gesagt habe. Ich habe bereits seit drei Jahren ein Verhältnis mit der Tochter Sun Bings, die auch die Schwiegertochter Zhao Jias ist, Sun Meiniang, ist schwanger mit meinem Kind. Gnädige Frau, im Namen alles dessen, was wir in diesen mehr als zehn Jahren, die wir Mann und Frau sind, geteilt haben, bitte ich Euch, bis zur Geburt dieses Kindes abzuwarten. Wenn es ein Junge ist, werden Sie einen Weg finden, ihn zu sich zu nach Hunan zu holen. Ist es ein Mädchen, machen Sie sich keine Gedanken. Es ist ein letzter Gefallen, um den ich Sie bitte, gnädige Frau. Seien Sie sich der Verehrung Ihres Gatten Qian Ding stets gewiß!
Teil II :
Der Bauch des Schweins
Kapitel 5:
Der Bartwettkampf
1.
Der frischgebackene Präfekt von Gaomi, Qian Ding, hatte einen wunderschönen Bart, der wie ein Wasserfall von seinem Kinn herabfiel. Dank dieser Manneszier vermochte er gleich bei seinem ersten Auftritt im Tribunal alle zu beeindrucken: die Inhaber der sechs Ämter, diese Scharlatane und Verräter, und die drei Gruppen von Schergen des Yamen, eine Horde wilder Tiere.
Sein Vorgänger war ein hagerer Mensch gewesen, dem anstelle eines Bartes ein Dutzend armseliger Rattenhaare gewachsen waren. Einer von der Sorte, die sich ihr Amt kaufen. Er hatte keinerlei Bildung und sein einziges Talent bestand darin, sich jederzeit hemmungslos bereichern zu können. Wie ein Affe kratzte er sich verlegen am Kopf und saß nutzlos in der Großen Halle. Da er korrupt und von kläglicher Erscheinung war, konnte sich sein Nachfolger um so positiver von ihm abheben. Als Qian Ding erstmals würdevoll und in aufrechter Haltung dem Tribunal vorsaß, hatten die Angestellten des Yamen das Gefühl eines Neuanfangs. Der Präfekt seinerseits nahm die freundlichen Blicke aus der Halle mit Wohlwollen zur Kenntnis.
Er hatte im Jahr 1883 zur Zeit der Regierung des Kaisers Guangxu bei den Beamtenprüfungen die Doktorwürde erreicht. Sein Name wurde in der gleichen Rangliste geführt wie der des Liu Guangdi, der als einer der Sechs Heroen der Reformbewegung am Hof 1898 im ganzen Reich zu Berühmtheit gelangt war. Liu war Nummer 37 in der Zweiten Rangliste, Qian Ding Nummer 38. Nach bestandenem Examen dümpelte er zwei Jahre lang auf einem unbedeutenden Posten im Yamen der Hauptstadt vor sich hin, bevor er, dank kleiner Geschenke an die richtigen Personen, sein
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