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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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doch Sun Bing wandte nicht einmal den Kopf. Da seine wütenden Blicke ohne Resonanz blieben, mußte er sie wohl oder übel für sich behalten. Sein Blick wanderte statt dessen zu den anderen Gästen. Er schürzte die Lippen und schüttelte den Kopf wie ein Vorgesetzter, der seine Mißbilligung gegen einen Untergebenen zeigt, oder eine hochgestellte Persönlichkeit, die sich wohl oder übel mit einem Niedriggestellten abgeben muß. Die Leute am selben Tisch wollten keinen Ärger haben und forderten ihn höflich auf, mit ihnen anzustoßen. Li Wu fühlte sich bestätigt, trank einen Becher Wein, wischte sich den Mund mit dem Ärmel ab und nahm den Faden seines von Lius Filius unterbrochenen Vortrags wieder auf:
    »Liebe Freunde! Das Geheimnis des Barts Seiner Exzellenz des Präfekten habe ich nur mit euch geteilt, weil wir hier unter Brüdern sind. ›Hier zählt nicht die Verwandtschaft, uns eint die Dorfgemeinschaft‹, so heißt es doch. Nehmt also das, was ich euch gerade erzählt habe, schluckt es hinunter, um es zu verdauen und zu vergessen und gebt es unter keinen Umständen weiter. Wenn ihr dieses Geheimnis weiterverratet und Seine Exzellenz Qian davon erfährt, dann habt ihr eures Bruders Reisschüssel zerbrochen. Wenn ich also um eure Verschwiegenheit bitten darf!«
    Er legte die Hände zum Gruß zusammen und machte die Runde, um sich vor jedem einzeln zu verbeugen. Ein jeder versicherte ihm: »Nur die Ruhe, mach dir keine Sorgen, wir sind stolz darauf, daß aus unserem Dorf ein Mann von deinem Format hervorgegangen ist, verehrter Li Wu, wir, deine Nachbarn, sind alle bemüht, uns mit dir gutzustellen. Wie könnten wir dich enttäuschen wollen?«
    »Gerade weil wir alle eine Familie sind, könntet ihr euch dazu hinreißen lassen, alles auszuplaudern.« Li Wu hatte sich einen weiteren Becher Wein genehmigt, senkte die Stimme und erzählte mit verschwörerischer Miene: »Seine Exzellenz lädt euren Bruder des öfteren dazu ein, ihm in seinem Büro Gesellschaft zu leisten. Wir sitzen dann beieinander wie Brüder, trinken Reiswein, essen Hundefleisch und räsonnieren über Gott und die Welt, Gestern und Heute, China und das Ausland. Seine Exzellenz ist ein Mann von profundem Wissen, es gibt nichts auf der Welt, worin er nicht bewandert wäre. Plaudern, Wein trinken und Hundefleisch essen, das ist es, was Seiner Exzellenz beliebt. So sitzen wir oft bis weit nach Mitternacht, bis irgendwann seine Frau ungeduldig eine Dienerin nach ihm schickt, die ans Fenster klopft und ausrichten läßt, daß es schon spät sei und er sich ausruhen müsse. Dann antwortet Seine Exzellenz: ›Fräulein Pflaumenduft, geh zu meiner Frau und sag ihr, daß sie schon ins Bett gehen soll. Ich will noch ein Weilchen mit dem Kleinen Li hier sitzen.‹ Ich bin also seiner Frau ein Begriff. Einmal hatte ich in den hinteren Gemächern zu tun und traf sie zufällig. Sie stellte sich mir in den Weg und sagte: ›So, da haben wir den Kleinen Li, der die ganze Nacht mit meinen Mann herumschwadroniert, so daß er sich gar nicht mehr um mich kümmert. Meinst du nicht, du kleiner Wicht, daß du gehörig versohlt gehörst?‹ Was meint ihr, wie ich da erschrocken bin! Ich stammelte nur immerfort: ›Ich gehöre geschlagen, jawohl, das gehöre ich!‹«
    Herr Ma, Kandidat für das kaiserliche Palastexamen, unterbrach ihn: »Bruder Li, ich würde nur zu gerne wissen, wie sie ist, die Frau des Präfekten, es geht das Gerücht, sie sei voller Pockennarben ...«
    »Unsinn! Blanker Unsinn! Wer so etwas erzählt, der sollte nach dem Tod in derjenigen Hölle landen, in der einem die Zunge ausgerissen wird!« wetterte Li Wu. Mit puterrotem Gesicht fuhr er fort: »Ich frage mich, Examenskandidat Ma, ob du Sojamilch oder Reissuppe in deinem Hirn hast. Das viele Studieren hat dir wohl den Verstand vernebelt. ›Zhao, Qian, Sun, Li, Zhou, Wu, Zheng, Wang, wo der Himmel schwarz und die Erde gelb ist, liegt des Universums primitiver Anfang‹  – bis zu dieser Stelle hast du wohl deine Klassiker noch nicht studiert! Weißt du, woher diese Frau kommt? Sie ist der Sproß einer wirklich wohlhabenden und einflußreichen Familie. Eine verhätschelte höhere Tochter, um die sich von klein auf die Ammen scharten und die Dienerschaft sorgte, und deren Gemächer so sauber waren, daß man dort vom Boden hätte essen können! Wie soll man in so einer Umgebung die Pocken bekommen? Und wenn man nie die Pocken hatte, woher soll man dann Pockennarben haben? Es sei denn, so ein

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