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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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schmerzenden Wunden. Drei Tage hatte er im Gefängnis der Präfektur gesessen, in der Gesellschaft ganzer Heerscharen von Wanzen und Läusen. Während dieser drei Tage war er sechsmal von den Wärtern aus der Zelle geholt, die Augen waren mit einem schwarzen Tuch verbunden worden, und ein Regen von Peitschenhieben und Stockschlägen war auf ihn eingeprasselt. Er wurde derart verdroschen, daß er vor Schmerzen schier die Wände hochging. Nur einmal in diesen drei Tagen hatte er eine Schüssel mit ranzigem Essen und trübes Wasser zu trinken bekommen. Der Hunger machte ihn halb wahnsinnig; er war sich sicher, daß achtzig Prozent seines Blutes längst von den Wanzen und Flöhen aufgesaugt worden waren. Fett und glänzend, wie in Öl gebadete Weizenkörner saßen die Viecher auf den Wänden. Er hatte das Gefühl, es keinen Tag länger auszuhalten, noch drei Tage hier drin wären sein sicherer Tod. Warum war er nur so impulsiv und hatte sich zu diesem folgenschweren Satz hinreißen lassen, warum hatte er sich frech die ganze Schale mit dem gehackten Schweinskopf unter den Nagel gerissen? Er hatte nicht wenig Lust, sich selbst ein paar ordentliche Backpfeifen dafür zu verpassen und sein vermaledeites Mundwerk zu bestrafen. Doch es tat ihm bereits alles weh. Als er den Arm heben wollte, sah er Sterne vor den Augen.
    Der Himmel war bedeckt, und in der Großen Halle hatte man dicke Kerzen aus Schafsfett angezündet. Die Flammen züngelten unruhig und an den Dochtenden sammelte sich schwarzer Rauch. Es stank nach Schaf. Sun Bings Kopf dröhnte und ihm wurde schlecht, er spürte, wie sich ihm der Magen umdrehte und eine ekelhafte Flüssigkeit in ihm hochstieg. Als er sich so mitten in der Großen Halle übergeben mußte, schämte er sich fürchterlich und wollte um Vergebung bitten. Er wischte sich den Dreck vom Mund und Bart und wollte gerade zu einer Entschuldigung ansetzen, als unerwartet aus einer dunklen Ecke der Halle eine düstere, wohltrainierte Stimme erschallte: »Wuuu ...! Weiii ...!«
    Er fuhr auf und wußte nicht, wie er reagieren sollte. Da versetzten ihm die beiden Wächter, die ihn hereingezerrt hatten, einen Tritt in den Hintern. Er knickte ein und sank mit den Knien auf den harten Steinboden.
    Kniend fühlte er sich gleich viel wohler als stehend und auch das Ausspeien des verdorbenen Essens hatte ihm eine große Erleichterung verschafft. Es kam ihm in den Sinn, daß er sich nicht so kläglich und unterwürfig geben sollte. Ein tapferer Mann steht für seine Taten ein, und schließlich hinterläßt eine Enthauptung nicht mehr als eine große Narbe. In Anbetracht der Situation gab es nichts, was den Präfekten entschuldigen würde oder womit er die Sache bemänteln könnte. Wenn er schon sterben sollte, dann wenigstens einen heldenhaften Tod. Wer weiß, vielleicht würde man in zwanzig Jahren ein Stück über ihn schreiben und sein Nachruhm wäre gesichert. Bei diesem Gedanken schoß ihm das Blut in den Kopf und pochte gegen seine Schläfen. Der Durst in seiner Kehle, der Hunger in seinem Magen und die Schmerzen am ganzen Körper fühlten sich sofort viel erträglicher an. Sein Blick wurde lebendig und sein Gehirn funktionierte wieder. Die Großtaten und die würdevollen Verse der Arien zahlloser tapferer Helden, die er auf der Bühne verkörpert hatte, gingen ihm durch den Kopf. Welche Strafe ihr auch über mich verhängt, ich werde alles erdulden! Er warf sich also in die Brust und stellte sich hocherhobenen Hauptes gegen diese unbarmherzige Situation, in der er der Willkür der Angestellten des Yamen ausgesetzt war, die bei dieser Gelegenheit die Macht ausnutzten, die von oben auf sie abfärbte, und ihn unausgesetzt anschrien.
    Als er den Kopf hob, war das erste, was er sah Seine Exzellenz der Präfekt, der mit seinem roten Gesicht und seinem langen Bart einer ehrfurchtgebietenden Götterstatue glich. Er thronte steif unter einer Tafel mit der Aufschrift »Gerecht und ehrenvoll« im hellen Kerzenschein, hinter dem schweren, hühnerblutroten und reich geschnitzten Richtertisch. Er erkannte, daß auch Seine Exzellenz der Präfekt ihn musterte und mußte sich eingestehen, daß dieser tatsächlich eine äußerst respektgebietende Erscheinung bot. Li Wu hatte in diesem Punkt keinen Unsinn erzählt. Insbesondere der Bart, der ihm vor der Brust hing, wirkte Haar für Haar erlesen wie ein pechschwarzer Pferdeschweif. Sun Bing konnte ein Gefühl der Scham nicht unterdrücken, und es überkam ihn eine Welle der

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