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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Bing ausreichend Wasser geholt hatte, stellte er Eimer und Tragstange ab, und wies seinen neuen Gehilfen Shitou an, Feuer zu machen und Wasser zu kochen. Er machte den Gastraum sauber, wusch Teekessel und Teeschalen aus, und öffnete die große Tür zur Straße hin. Dann setzte er sich hinter den Tresen und zündete sich eine Pfeife an, während er auf die Kundschaft wartete.

2.
    Seitdem ihm der Bart ausgerissen worden war, hatte sich Sun Bings Leben von Grund auf verändert.
    Nach dem Unglück hatte er im Haus seiner Tochter auf dem Kang gelegen und das Seil betrachtet, das bereits am Deckenbalken des Zimmers befestigt war. Er hatte nur darauf gewartet, daß Meiniang wiederkam und ihm Bericht erstattete, und wenn der Bericht ausfiel, war er bereit gewesen, seinem Leben ein Ende zu setzen. So oder so würde ihn der Kerker erwarten. Da er den Kerker der Präfektur schon von innen kannte und wußte, wie grauenhaft es dort zuging, wollte er sich lieber umbringen, als dort noch einmal eine Strafe zu verbüßen.
    Den ganzen langen Tag hatte er auf dem Kang verbracht, in einem Dämmerzustand zwischen Wachen und Schlafen. Immer wieder rief er sich die Gestalt des Angreifers ins Gedächtnis, der da so unvermittelt im hellen Mondlicht schier aus dem Nichts aufgetaucht war. Der Übeltäter war ziemlich hochgewachsen, mit kräftigen Beinen und flinken Bewegungen, wie eine große, schwarze Katze. Die Tat hatte sich in einer engen Gasse abgespielt, unweit des Hauses der Zehn Düfte, als er auf dem Weg zur Schenke der Familie Cao war. Das Mondlicht hatte Sun Bings unruhigen Schatten auf die im Licht wie Wasser glänzenden blauen Pflastersteine der Straße geworfen. Die sinnlichen Genüsse des Hauses der Zehn Düfte hatten seinen Gang schwankend und seinen Verstand benommen gemacht, so daß er die plötzlich vor ihm auftauchende Gestalt zuerst für eine Illusion hielt. Doch das hämische Lachen des Mannes ließ ihn sofort wieder nüchtern werden, und instinktiv warf er die letzten Kupfermünzen, die er noch im Gürtel hatte, auf die Straße. Unter dem hellen Klimpern der Münzen, die über die Straße rollten, redete er drauflos, was ihm gerade einfiel: »Mein Freund, ich bin Sun Bing aus dem Kreis Dongbei in Gaomi, ein armer Wanderschauspieler. Alles Geld, das ich bei mir hatte, habe ich für ein paar romantische Stunden zwischen Mann und Frau ausgegeben, doch ich lade dich gerne ein, morgen nach Dongbei zu kommen, wo meine Brüder für dich eine Vorstellung geben werden ...«
    Der schwarzgekleidete Mann beugte nicht einmal den Kopf, um den Kupfermünzen nachzusehen, sondern kam Schritt für Schritt näher. Von der kalten Brise, die von der Gestalt in Schwarz auszugehen schien, wurde Sun Bings Kopf noch klarer. Ihm wurde bewußt, daß das hier kein Dieb war, der es auf sein Geld abgesehen hatte. Fieberhaft überlegte er, wen er sich in letzter Zeit zum Feind gemacht hatte. Dabei wich er langsam zurück, und drückte sich in eine dunkle Ecke an der Mauer, die nicht vom Mondlicht beschienen war. Der Mann in Schwarz stand im Hellen, sein Körper badete von Kopf bis Fuß silbrig flackernd im Mondschein; man meinte, durch das Schwarz seiner Maske hindurch deutlich die Konturen seines Gesichts erkennen zu können. Doch erst als Sun Bing den schwarzen Sack sah, der dem Unbekannten vom Kinn abwärts vor der Brust baumelte, hatte er einen Geistesblitz. Es konnte kein anderer als Qian Ding sein. Seine Furcht verwandelte sich in Haß und Verachtung. »Ihr seid es also, Exzellenz«, sagte er kühl.
    Die schwarze Gestalt ließ erneut ein hämisches Lachen hören und nahm dabei den herabbaumelnden Stoffsack in die Hand, um ihn hin- und herzuschwenken, wie um Sun Bings Schlußfolgerung zu untermauern.
    »Was wollt Ihr von mir?« rief Sun Bing, aber er wartete die Antwort nicht ab, sondern ballte angriffslustig die Fäuste. Doch noch bevor er zuschlagen konnte, verspürte er einen furchtbaren Schmerz am Kinn, und schon war ein Teil seines Barts in der Hand des Maskierten. Sun Bing stürzte sich mit einem gellenden Schrei auf ihn. Er hatte sein halbes Leben lang auf der Bühne gestanden und verstand sich auf allerhand akrobatische Kunststücke. Er war kein geübter Kämpfer, aber so einem gelehrten Stubenhocker konnte er es immer noch zeigen! Er stürzte sich also auf seinen Gegner, doch kaum hatte er ihn, schon fand er sich rücklings auf der Straße wieder. Es gab einen dumpfen Schlag, als sein Hinterkopf auf das harte Straßenpflaster

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