Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers
zweiten Mal versagt mir die Stimme mitten im O. Telefoo-oh.
Kurz ist es still, und ich halte mich damit beschäftigt, regelmäßig ein- und auszuatmen, dann höre ich mit dem sechsten oder siebten Klingeln ein aufgescheuchtes Tippeln im Flur und lausche. Sie nimmt tatsächlich ab. Vielleicht wird doch noch was aus ihr. In dieser Situation finde ich es sehr vorteilhaft, dass sie ein so lautes Stimmorgan hat.
»Katja Königshofen, guten Tag … Ach nein, das ist ja lustig, das habe ich am Freitag zum ersten Mal gesehen.«
Mein Mund öffnet sich wie von selbst. Ich glaube, meine Atmung setzt aus. Diese Worte in dieser Kombination, das kann nur eines bedeuten. Mir scheint, als wäre mein Zimmer plötzlich sonnendurchflutet und als strömte eine Brise wilder Ozeanluft hindurch. Ich richte mich vorsichtig, sehr vorsichtig ganz auf und lausche weiter.
»Nein, ein Herr Wildensorg wohnt hier nicht, da müssen Sie sich verwählt …«
» DOCH !!! DOCH !!!«, schreie ich, jegliche Vorsicht meiner Gesundheit gegenüber und jegliche Würde vergessend. »Ich heiße Wildensorg! Ich bin Paul Wilden SORG !«
»Momentchen, ich hätte da doch einen Herrn Wildensorg für Sie.«
Große Scheiße! Der Anruf, auf den ich mein Leben lang warte. Und was mache ich? Delirieren! Das muss ein Ende haben. »Gib mir sofort das Telefon!«, schreie ich, auf die Tür zustolpernd, reiße sie auf und gleiche gleichzeitig durch Festkrallen an der Klinke mein Schwanken aus.
Schon hat auch Katja die Treppe überwunden und steht vor mir. »Geben Sie dem Herrn Jauch einen Schmatzer von mir«, sagt sie und drückt mir das Telefon in die Hand. »Du siehst gar nicht gut aus«, flüstert sie mir zu.
Ich knalle die Tür zu, presse mich mit dem Rücken dagegen und starre auf den Hörer.
»Hallo? Hallo?«, höre ich eine leise Stimme.
Mir wird schwindlig. Ich gleite an der Tür entlang zu Boden, sitze jetzt und starre noch angestrengter auf den Hörer.
»Hallo?«, kommt es wieder.
Ich ziehe ganz langsam Luft ein, stoße sie etwas schneller wieder aus und hoffe, dass alles gut geht. Endlich ist es so weit.
»Paul Wildensorg hier.«
»Hallo Herr Wildensorg, wie schön, dass ich Sie dranhabe.« Die Stimme am anderen Ende ist freundlich, jung und sehr, sehr flott unterwegs. »Sie hatten sich bei Wer wird Millionär beworben.«
»R-richtig«, stöhne ich.
»Störe ich gerade?«
»Nein, um Himmels willen, nein!«
Das war vielleicht etwas überdeutlich. Cool bleiben, Junge, alles hängt davon ab, dass du sympathisch rüberkommst. Nebenbei einfach das Atmen nicht vergessen.
»Sehr schön. Ich darf Sie beglückwünschen. Der Zufallsgenerator hat Sie aus dem Pool der Bewerbungen ausgewählt, und Sie sind nun in der ersten Auswahlrunde.«
»Das ist ja toll!«, sage ich übereifrig. Noch mehr würde es mich freuen, wenn ich die beste Nachricht meines Lebens nicht quasi auf dem Sterbebett serviert bekäme.
»Wie schön, dass Sie sich so freuen. Es geht um die Aufzeichnungen in zwei Wochen. Montag oder Dienstag. Hätten Sie da Zeit?«
»Da muss ich erst mal nachsehen, Moment.«
Ich robbe hinüber zu meinem Schreibtisch. Dort liegt zwar auch ein Taschenkalender, aber ich habe etwas anderes im Visier. Im Kalender sind sowieso alle Seiten blank, das weiß ich. Was sollte ich da reinschreiben? Montag bis Samstag jeden Tag »Arbeit«? Wäre ja Quatsch.
»Warten Sie bitte kurz«, sage ich, lege den Hörer neben mir auf den Boden, greife zu einer Flasche Mineralwasser, schraube sie auf und schütte sie mir komplett über den Kopf. Das tut wirklich gut. In den Ohren prickelt es herrlich kitzlig nach. Ich fühle mich augenblicklich besser, wie neugeboren oder frisch getauft. Ich nehme die nette Frau wieder zur Hand.
»Hören Sie? Ja, da könnte ich.«
»Gut. Ich werde Ihnen nun abwechselnd einige Fragen stellen, ohne Multiple-Choice-Vorgaben, und Sie auch ein bisschen zu sich selbst befragen. Seien Sie ganz locker, ganz entspannt. Bereit?«
Ich habe mich jahrelang auf dieses Gespräch vorbereitet, ich bin so was von bereit. Zur Not weiß ich auch, wo noch mehr Sprudelwasser steht. Für den Moment bin ich aber klar genug für die popeligen Auswahlfragen.
»Ich bin bereit.«
»Ich darf Ihnen keine Hilfestellungen geben und Ihnen auch nicht sagen, ob die Antworten korrekt waren. Es geht los: Welcher Fernsehpfarrer hatte in den Neunzigerjahren eine tägliche Talkshow im Ersten?«
»Jürgen Fliege.«
Das war keine Sekunde Bedenkzeit, guter Start.
»Wer war
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