Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers
sein Kollege Scheßlitz, nebenbei Zwillingsvater, hat ergänzt: »Der mobile Blitzer ist sowieso seit ein paar Wochen Schrott, haha! Glückwunsch, Paul!« Der anerkennende Schulterklopfer tat sehr weh.
Dann haben sie mir angeboten, mich nach Feierabend nach Hause zu eskortieren, weil ich ja schon ein paar Gläschen Champagner getrunken hatte. Über eine Flasche dürfte es schon gewesen sein, denke ich. Irgendwann hatte ich beschlossen, dass der beste Ausweg der ist, mich den anderen anzuschließen und mich selbst zu feiern. Und gegen die Eskorte konnte ich mich dann einfach nicht mehr wehren. Horb und Scheßlitz waren plötzlich so begeistert von ihrer Idee, vielleicht weil sie ein Stück von meinem Ruhm abhaben wollten oder überhaupt mal etwas Action im Job, von der sie dann ihren Frauen erzählen können.
Also tuckere ich jetzt hinter dem Polizeiauto her Richtung Bauernhof. Sogar das Blaulicht haben sie eingeschaltet, auf die Sirene jedoch glücklicherweise verzichtet. Wahrscheinlich erwarten sie einen Schnaps, wenn wir angekommen sind, vielleicht ist das üblich, wer weiß. Bei uns gelten andere Gesetze als in der Großstadt. Ich will nicht unbedingt von Willkür sprechen, aber mal so von der Metaebene aus betrachtet fahre ich grade in eindeutig fahruntüchtigem Zustand hinter einem Polizeiwagen her, der mir freies Geleit gibt. Und ich bin nicht mal Diplomat. Eigentlich sollten sie mir eher den Führerschein abnehmen.
Ich weiß nicht, ob es an meinem leicht vernebelten Zustand liegt, aber im Stillen habe ich mich im Lauf des Tages entschieden: Ich will wirklich etwas leisten. Ich will nicht dafür gefeiert werden, etwas nicht erreicht zu haben, der Sieger der Herzen zu sein und so ’n Scheiß. Ich hatte meine Chance in der Sendung, und das war nix. Aber die Sache ist noch nicht gelaufen. Da gibt es immer noch die Chance auf das große Geld, und um da ranzukommen, braucht man wirklich Grips. Ich werde, sobald die Polizei mich abgeliefert hat, ernsthaft mit Herrn Müller reden.
Ich will Günther Jauch entführen!
Montag, 20.15
Ich verpasse gerade die Sendung. Schon die zweite in meinem Leben, die mir entgeht. Aber es gibt einen guten Grund.
Am Freitag habe ich Cordula dabei zugesehen, wie sie 64 000 gewonnen hat. Ich gönne es ihr, ich bin mit dem Thema durch, ich habe ein neues Projekt. Es ist bestimmt schon die zehnte Zigarette, die ich mir heute anstecke, so viel rauche ich sonst nie, aber besondere Vorhaben erfordern besondere Maßnahmen. Ich bin mit Herrn Müller verabredet, im Hexenbesen, der Kneipe, in der er auflegt. Er musste noch irgendwas erledigen, hat er gesagt, deshalb habe ich die zwei Stunden von Ladenschluss bis jetzt mit Abrechnungskram überbrückt, muss auch mal sein, nun ist es vom Tisch. Den Tisch habe ich danach abgestaubt, so viel Zeit war noch.
Auf dem Allgemeinplatz ist wie immer wenig los. Die örtliche Punkerszene sitzt am Brunnen und grüßt mich freundlich mit den Bierdosen, die ich ihnen vorhin verkauft habe. Zweiliter-Faxe. Die örtliche Punkerszene besteht aus Thomas Edelfingen und Birgit Birkenfeld. Ich glaube, sie sind auch privat ein Paar. Thomas hat früher, im Alter zwischen sechs und zehn, immer Pommes bei mir an der Kasse bestellt, wenn er mit seiner Mutter einkaufen war. »Und eine Tüte Pommes mit Ketchup«, hat er immer gesagt, und dann haben wir alle gelacht, er, seine Mutter und ich. Das war unser Insiderwitz. Lustig vor allem deshalb, weil er es beim ersten Mal ernst gemeint hat, als er noch dachte, er könne alles, was er sich wünscht, überall dort bekommen, wo er gerade ist. Danach fand ich es eher lustig, weil er in diesem jungen Alter zu Reflexion und Selbstironie fähig war. Wenn er mit Birgit da ist, frage ich ihn nicht mehr, ob er noch eine Tüte Pommes dazu möchte, vielleicht fände er das mittlerweile unkomisch. Er bietet durch sein Die-frühen-Toten-Hosen-Outfit und seine Drei-Farben-Gockelfrisur zwar genug Grund zur Belustigung, aber das ist nicht mehr so bewusst gesetzt wie damals der Pommes-Gag. Pubertäre geistige Verirrung, ganz einfach. Immer noch besser, als sich einer der neumodischeren Jugendbewegungen anzuschließen und den ganzen Tag davon zu faseln, dass man den Weltschmerz in sich nur ertragen kann, wenn man sich mit der Rasierklinge in die Arme ritzt. Punk ist da noch vergleichsweise handfest.
Nach dem Allgemeinplatz sind es noch zwei Querstraßen oder zwei Minuten Fußweg bis zum Hexenbesen. Kein Mensch in Sicht. Schauen alle Jauch
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