Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers
Text dazwischen war dürftig, die Überschrift lautete »Wir waren im Fernsehen!!!«, original mit drei Ausrufungszeichen. Ich habe Annette verboten, es im Laden aufzuhängen.
»Wird schon wieder«, sagt Wimmu und haut mir unversehens auf die Schulter. Es tut weh. »Schnäpschen?«
»Nee, lass mal, wir brauchen einen klaren Kopf, wir müssen was aushecken«, antwortet Herr Müller für mich. Wimmu blickt skeptisch und greift langsam Richtung Schnapsflasche, ohne den Blick von uns zu nehmen.
»Ich meine es ernst«, sagt Herr Müller. »Und keine Nachfragen! Topsecret!«
Ich notiere in Gedanken: Tagesordnungspunkt 1: Herrn Müller das Reden verbieten!!! Drei Ausrufungszeichen.
Hinter uns quietscht es, und eine vertraute Stimme verkündet: »Ich habe das Ziel erreicht.«
»Uuuuuh, eine junge hübsche Dame. Welch Glanz in meiner bescheidenen …«, stimmt Wimmu seine Empfangstirade an, die sich vorhin noch so speziell angefühlt hat.
Katja trägt eine mir neue, randlose Brille und hat die Haare hochgesteckt. Sie nickt uns zu und marschiert zielstrebig an uns vorbei auf den einzigen Tisch zu, den eine brennende Kerze schmückt: meinen.
»Wollen wir?«, fragt sie bestimmt, und wir verstehen es so, wie es gemeint war: als klaren Befehl, ihr zu folgen. Vielleicht nimmt sie die Sache etwas zu ernst. Ich wusste überhaupt nicht, dass sie bei der Sache mitmacht, ich war nur mit Herrn Müller verabredet, doch das lässt sich nun wohl nicht mehr allzu leicht ändern. Außerdem wohnt sie sowieso bei uns, und sie und Herr Müller sind mittlerweile der perfekte Pärchenklumpen, da ließe sich ein gefesselter Günther Jauch im Keller womöglich schlecht vor ihr verheimlichen. Herr Müller wird sich schon etwas dabei gedacht haben, sie einzuweihen. Wobei … Ach was, ich überlege nicht weiter. Wir folgen ihr.
Nachdem wir uns die Zeit mit belanglosem Geplänkel über meinen Tagesablauf und einer weiteren Runde Hopfenkaltschale vertrieben haben, sind endlich die ersehnten Stammgäste eingetroffen, die kickern und darten und den Automaten piepsen lassen; so können wir offen über unseren Plan reden, ohne dass Wimmu oder sonst wer imstande ist mitzuhören.
»Ein Treffen in der Öffentlichkeit ist das Unverdächtigste«, meinte Herr Müller, als wir darüber geredet haben, »so ist das immer in den Agentenfilmen.«
Die bestechende Logik daran hat sich mir nach wie vor nicht erschlossen, immerhin wohnen wir zusammen, und wenn sie es wollten, könnten die Leute jeden Tag pausenlos vermuten, wir würden auf unserem Hof irgendwas aushecken. Ich glaube, sie tun es trotzdem nicht. Gegen einen Umtrunk nach Feierabend hatte ich aber auch nichts einzuwenden. Ganz im Gegenteil, es ist gut, mal rauszukommen. Herr Müller holt seinen Laptop aus der PARIS -Tasche und stellt ihn zentral vor uns auf den Tisch.
»Ich habe den perfekten Köder«, sagt er, klappt den Monitor hoch und drückt einen Knopf. Eine Website erscheint. Katja und ich starren sie lange an und begreifen nicht. Es ist einer dieser seltenen, kostbaren Momente, in denen Katja und ich dasselbe denken. Sie spricht es aus: »Was ist das? Was soll das?«
Herr Müller lächelt triumphierend in sich hinein und sagt dann: »Die hab ich gemacht.«
Wir sehen wieder auf die Seite. Sie wirkt hochwertig, professionell, kompetent programmiert oder wie man das auch immer ausdrückt. Niemals hat Herr Müller das zusammengebastelt. Außerdem ergibt es noch immer keinen Sinn.
»Jaaa, ich hatte ein bisschen Hilfe«, gesteht er schließlich, »von einem Profi.«
»Und was soll das?«, wiederhole ich mich, Katja, uns.
Die Seite ist überschrieben mit DER STRUMPFTRÄGER DES JAHRE S, an einer animierten Wäscheleine in der oberen rechten Ecke hängen verschiedenfarbige Strümpfe, die langsam vorbeifahren. Überall sind Schnörkel, zentral ein Bild mit einem hochgerutschten Hosenbein, einem edlen Anzugschuh und einem goldglitzernden Strumpf am Bein. In einem Textkasten unter dem Beinbild sind die Worte CHARITY, FRANKFURT und 50 000 EURO zu lesen, gefettet und großgeschrieben.
Ich will die Frage nicht noch einmal wiederholen und warte einfach, bis Herr Müller selbst zur Erklärung ansetzt. Es dauert zwei, drei Dartpfeilwürfe lang.
»Ich hab gebrainstormt, wie wir es ausgemacht hatten. Die Fragestellung war: Wie kommen wir möglichst einfach an Günther Jauch ran? Die Antwort seht ihr vor euch. Ich bin die Sache auf der psychologischen Ebene angegangen. Was lockt diesen Mann, der alles
Weitere Kostenlose Bücher