Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers
Die anderen Kandidaten, Otto ausgenommen (er ist zusammen mit seiner blaubekleideten Gattin recht schnell wieder verschwunden), haben sich gegenseitig zu ihrer Dummheit beglückwünscht. »Immerhin haben wir alle was mitgenommen«, haben sie gesagt, »das kommt bestimmt in einen Jahresrückblick«, und mit billigem Secco angestoßen. Toll. Diese Flachpfeifen! Ich hätte alle Fragen gewusst, alle Stuhlfragen.
Ich bin dann so schnell wie möglich abgehauen. Katja kennt eine Kölschkneipe auf der Zülpicher Straße, in die wir uns verzogen und was getrunken haben. Nicht lange, jeder fünf Kölsch, das geht ja schnell, anschließend wollte ich nur noch nach Hause. Die Nacht im Hotel war scheiße, das Frühstück war scheiße, zu allem Übel saßen Oliver und Sabine zeitgleich im Frühstücksraum, wir haben nicht geredet, also die beiden miteinander schon, aber nicht mit mir, und die Zugfahrt nach Hause war auch scheiße. Natürlich habe ich direkt in dem Moment, als bei der Aufzeichnung die Schlusssirene kam, realisiert, was passiert war und dass ich die größte Chance meines Lebens vertan habe. Realisieren geht schnell. Sportler scheinen das nicht zu können. Die werden immer von Reportern gefragt, ob sie ihren Erfolg schon realisiert haben, während sie ihre drei Goldmedaillen um den Hals hängen haben, und sagen dann nein, es wäre ja unmöglich, das jetzt schon zu realisieren, das würde wohl noch ein paar Tage oder Wochen dauern. Was für ein riesiger Quatsch! Aber immerhin haben die Erfolg, im Gegensatz zu mir. Ich bin ein schnell realisierender Loser und stehe erst um ein Uhr mittags auf, weil ich mir keinen Wecker gestellt habe, es gab keinen Grund. Heute hab ich noch frei, dann muss ich wieder in den Laden. Bringt ja nix, muss ja weitergehen alles. Ich habe auch schon Kandidaten gesehen, die ein zweites Mal in der Auswahlrunde im Studio saßen, ich darf mich also wieder bewerben. Solange man nicht auf dem Stuhl war, darf man das, aber ich bin jetzt ziemlich durch mit dem Thema.
Herr Müller scheint auch frei zu haben. Ich habe überhaupt keine Ahnung, ob er zurzeit eine Arbeit hat und wenn ja, was für eine. Wahrscheinlich hat er grade nichts, deswegen sitzt er auch um diese Zeit in der Küche und dreht Däumchen. Als ich reinkomme, springt er auf und zieht meinen Stuhl für mich raus.
»Setz dich, Paul. Wie geht es dir?«, sagt er. »Kann ich dir was Gutes tun, willst du einen Kaffee?«
»Ja, bitte«, sage ich leise und lasse mich auf den Stuhl plumpsen.
»Noch was anderes? Ein Omelett vielleicht? Ich kann dir auch einen Tomate-Mozzarella-Salat machen, den magst du doch gerne. Oder ein kleines Steak? Würstchen? Englisches Frühstück?«
»Herr Müller, ich bin nicht todkrank. Ich hab’s nur nicht auf den Stuhl geschafft«, sage ich.
Aber generell gefällt mit seine plötzliche Fürsorglichkeit.
»Ich nehme nur Rühreier und Pfannkuchen.«
»Kommt sofort«, sagt er. »Soll ich den Radiosender wechseln, oder magst du die Musik?«
»Das kann ich auch selber tun, wenn mir ein Lied nicht gefällt«, sage ich.
Es läuft Money, Money, Money . Ich höre nicht hin und schlage die auf dem Tisch liegende Zeitung auf.
»Ich habe dir die interessanten Artikel mit Leuchtstift markiert«, sagt Herr Müller vom Herd. »Du sollst es heute richtig gut haben. Dich nicht anstrengen. Lass dich von mir verwöhnen!«
»Das mit dem Verwöhnen klingt zwar etwas eklig, aber danke.«
In den Todesanzeigen steht, dass Frau Wasserzell gestorben ist. Die gute, alte Frau Wasserzell. Vor allem alt war sie, fast hundert, und sie hat immer Überraschungseier, Magerquark und die Frau im Glück gekauft. Na immerhin, anderen Leuten geht es auch schlecht. Großfamilie Wasserzell trauert, genauso wie ich, über einen großen Verlust. Frau Rottenbauer erhält hiermit die Auszeichnung als meine nun älteste Kundin.
Herr Müller stellt einen Teller mit Pfannkuchen vor mir ab. Dazu drei verschiedene Marmeladen und Nutella zum Draufstreichen. Er macht mir den Tagesbeginn wirklich schön. Ich beginne, das zu würdigen und zwinge mir ein Lächeln ins Gesicht, damit ich mich besser fühle. Man sagt ja, dass das funktionieren würde, zumindest mit einem Spiegel vorm Gesicht.
»Was würdest du heute gerne machen, Paul?«, fragt Herr Müller.
Ich schaue aus dem Fenster. Die Sonne ist da. Hallo, Sonne.
»Irgendwas mit Rausgehen und ohne Bewegung. Gerne mit Alkohol«, sage ich.
»Wir sollten Günther Jauch entführen«, sagt er.
Ich sehe
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