Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers
hat, aus dem Haus? Die Antwort: Geld, aber indirektes Geld. Geld, mit dem man etwas Gutes tun kann, worüber dann etwas in der Zeitung steht oder bei Frauke Ludowig läuft. Charity. Die gleiche Masche wie beim WWM -Promi-Special. Könnt ihr mir so weit folgen? Kommen wir also zur Folgefragestellung. Wie kann man ihm glaubhaft vermitteln, dass man ihm einfach so Geld geben will? Wo ist der Bezug zu seiner Person? Die Antwort seht ihr vor euch.«
»Strümpfe?«, fragt Katja.
»Strümpfe«, sagt Herr Müller. Und schweigt. Und schaut gewinnend.
Die Grenze zwischen Genie und Wahnsinn ist extrem schwammig. Ich weiß nicht genau, in welche Richtung ich tendieren soll, als ich begreife – und Herrn Müllers Ausführungen wie sein innerer Zwilling fortsetze: »Günther Jauch wurde schon als Krawattenmann des Jahres und als Anzugträger des Jahres ausgezeichnet. Diese beiden Auszeichnungen gibt es tatsächlich, also kann man nicht glaubhaft vermitteln, dass man sie ihm einfach noch mal geben will. Er kennt ja die Leute, die dahinterstecken. Was bleibt demnach, was ihn – rein äußerlich – ausmacht? Für ein fliehendes Kinn kann man keine Auszeichnung vergeben, die Brille ist auch nicht sonderlich speziell, Frisur genauso. Also Schuhe oder Strümpfe. Den Strumpfträger des Jahres gibt es nicht. Aber den erfinden wir … hoffe ich.«
»Richtig«, sagt Herr Müller und freut sich, dass ich des Pudels Kern so schnell gefunden habe.
Ich fahre fort: »Jauch hat in der Sendung schon öfter, mindestens zweimal, die Hose hochgezogen und seine Strümpfe gezeigt. Das ist der Bezugspunkt. Der Mann steht zu seinen Strümpfen. Dafür nominieren wir ihn und verleihen ihm den Preis.«
Herr Müller klatscht in die Hände. Wimmu an der Bar schreckt auf und zapft uns spontan drei weitere Biere. Ich kann gut eines gebrauchen. Herrn Müllers Ansatz ist teuflisch gut. Und teuflisch bescheuert. Aber mir würde nichts Besseres einfallen, um irgendwie an Jauch ranzukommen.
»Natürlich kriegt er das Geld nur, wenn er persönlich anreist und den goldenen Strumpf entgegennimmt«, ergänzt Herr Müller.
»Das ist genial«, sagt Katja mit Fernblick durch ihre Fensterglasbrille hindurch. »Echt genial.«
»Einen Versuch ist es wert«, beschließe ich meine Abwägungen.
»Wenn nicht so, wie dann?«, fragt Herr Müller und klappt den Laptop zu.
Eben. Wir haben einen Plan. Oder sagen wir lieber: Das Grundgerüst eines Plans. Jetzt muss das Haus gebaut werden.
Freitag, 20.15
Das Haus steht, der Plan ist perfekt.
»Und hier kommt Ihr Moderator. Hier ist Günther Jauch.« Dööö-dö-dömmm. Applaus. Johlen. Euphorische Pfiffe. Günther Jauch tritt auf, und ja, ich würde es nicht als gänzlich unrealistisch einschätzen, wenn er nun aus dem Fernseher heraus direkt zu uns ins Wohnzimmer staksen und sich neben uns auf die Couch setzen würde. Wir haben an alles gedacht, ich fühle mich ihm schon ziemlich nah, es kann nicht viel schiefgehen. Gut, er könnte natürlich kein Interesse daran haben, als Strumpfträger des Jahres ausgezeichnet zu werden, aber das ist nun wirklich die einzige Unwägbarkeit. Ansonsten ist das alles ziemlich wasserdicht. Wenn wir bei der Hausmetapher bleiben, dann fehlt maximal noch der Dämmschutz an manchen Fenstern. Niemandem wird etwas geschehen, wir werden uns gut um ihn kümmern. Er wird eine schöne Zeit bei uns haben, so viel steht fest. Tatsächlich war es Katja, die die große Devise ausgegeben hat, die nun über dem ganzen Entführungsplan steht: »Aber sanft muss es sein.«
Wir planen eine sanfte Entführung.
Seit Montag haben wir uns jeden Abend zur Beratung im Hexenbesen getroffen. Das war schon fast auffällig. Trotzdem kamen keinerlei komische Blicke oder Nachfragen, abgesehen von »Noch eine Runde Hopfenkaltschale?« von Wimmu.
Vielleicht hatte Herr Müller doch recht mit seiner These, dass »das Heimliche, ausgetragen in aller Öffentlichkeit, seine Heimlichkeit und somit seine Anrüchigkeit verliert«. Keine Ahnung, wo er das gelesen und wie lange er zum Auswendiglernen gebraucht hat. Wer weiß, was die Leute an den Tischen um uns herum besprochen haben? Das ist vielleicht auch nicht ohne. Herr Seuversholz und Herr Adelschlag waren zum Beispiel auch jeden Abend da und haben die Köpfe gar nicht mehr auseinandergekriegt. Also nicht weil sie miteinander intim geworden wären, sie haben eben die ganze Zeit getuschelt. Um die Planung ihres allsommerlichen Campingurlaubs kann es nicht gegangen sein,
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