Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers

Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers

Titel: Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ritter
Vom Netzwerk:
wahrscheinlich.
    Der Hexenbesen ist ein altes Bauernhaus, mit Fachwerk und allem, zweistöckig. Unten ist die Kneipe, oben wohnt der Wirt, Wimmu. Keine Ahnung, wie er wirklich heißt, er war schon immer Wimmu. Wimmu hat einen Zweitschlüssel für meinen Supermarkt. Wenn ihm mal die Getränke ausgehen sollten, kann er rübergehen und sich was nehmen, auf Vertrauensbasis, Abrechnung dann am nächsten Tag oder am Montag, falls er sich samstags bedient. Jedenfalls sieht unsere Übereinkunft so in der Theorie aus, ihm sind nämlich noch nie die Getränke ausgegangen.
    Als ich reingehe, läuft »Stairway to Heaven«, und das Licht ist so sehr heruntergedimmt, dass man glauben könnte, man sei in einer In-Kneipe in Berlin gelandet. Ich kenne zwar nicht viele In-Kneipen in Berlin, aber aus meiner Erfahrung heraus, die auf dem Besuch zweier Berliner In-Kneipen beruht, projiziere ich das einfach mal auf den Gesamtzustand dieser pulsierenden Weltstadt. In beiden Kneipen musste ich ein Feuerzeug anmachen, damit ich überhaupt erkennen konnte, was auf der Karte stand, und da stand nicht sehr viel mehr, als dass es Astra, Club Mate und Milchkaffee gab.
    Wenn man den Hexenbesen betreten hat, findet man sich schon direkt am halbrunden Tresen, von wo aus sich links und rechts der Raum öffnet. Kicker und Dartautomat rechts, Tische links. Ich schaue mich um. Kein Herr Müller in Sicht. Auch kein Wimmu. Auch niemand sonst, ich bin allein. Als ich rüber zu einem der Tische gehen will, fällt es mir buchstäblich schwer, meine Füße vom Boden zu lösen. Dann macht es ffffit ffffit, und ich kann mich wieder bewegen. Wimmu sollte vielleicht öfter mal feucht durchwischen. Aber ich glaube, dafür ist seine Mutter zuständig, und die ist grade auf Kur. Hinten aus der Küche höre ich Geklapper und einen Kraftausdruck, da scheint etwas runtergefallen zu sein. Als Wimmu erscheint, sitze ich mit Blick auf den Tresen an einem Tisch und habe schon die Kerze darauf angezündet. Er reibt sich den Hinterkopf, sagt »Aaaah, der Fernsehstar! Welch Glanz in meiner bescheidenen Hütte« mit seiner rauen, bärigen Stimme und deutet eine Verbeugung an.
    »Hallo«, entgegne ich.
    »Darf ich Monsieur eine Hopfenkaltschale kredenzen?«
    »Ich nehme erst mal eine Apfelschorle.«
    »Ach, Quatsch«, sagt er und hat schon das Bierglas am Zapfhahn, »das geht aufs Haus. Zur Not kann dir ja die Polizei wieder heimleuchten.«
    Wenn hier mal irgendwas Spannendes passieren würde, würden sich solche Nebensächlichkeiten vielleicht nicht so schnell herumsprechen.
    »’ne gute Figur hast du da gemacht beim Jauch. Also schon tragisch irgendwie, aber immerhin warst du auch oft im Bild, man konnte so richtig mitleiden.«
    »Soll mich das irgendwie aufbauen?«
    »Nö, aber das hier«, sagt er und stellt mir das Bier auf den Tresen. Bedienung an den Tisch gibt es hier nicht.
    »Die Musik in Ordnung? Ich kann auch was Flotteres reinmachen, wenn du tanzen willst.«
    »Lass mal«, sage ich und gehe die zwei Meter zu meinem Bier. Hinter mir quietscht die Tür. Herr Müller tritt ohne Eile ein.
    »Ooooh, der DJ erscheint außerhalb seiner Arbeitszeit. Welch Glanz in meiner bescheidenen Hütte«, begrüßt ihn Wimmu originell und hat das Glas schon am Zapfhahn, während er die Frage nach der Hopfenkaltschale stellt. Herr Müller und er begrüßen sich mit einem Coole-Männer-beste-Freunde-Handshake, bei dem man die Hände quer wie beim Armdrücken zusammenklatschen lässt und sie ein bisschen hin und her schunkelt. Herr Müller und ich leben zu lange zusammen, als dass wir uns noch die Hand reichen müssten, wenn wir uns begegnen. Machen Ehepaare ja auch nicht. Wenn die Gattin morgens ins Bad kommt, um sich die Zähne zu putzen, und dort ihren Gatten trifft, der mit der Zeitung auf dem Klo sitzt, gibt man sich nicht die Hand, nein.
    Herr Müller stellt eine schwere Umhängetasche ab, auf der fünffarbig PARIS gedruckt steht, und greift sich sein Bier. Wimmu hat sich offenbar auf die Schnelle auch eines gezapft, und wir stoßen an. Auf mich.
    »Warst sogar mit Bild im Blättchen«, sagt Wimmu. »Gesehen?«
    Ich nicke. Auf dem Titel des Wochenblatts war der komplette Supermarkt-Zirkus abgebildet, der mich am Donnerstag empfangen hat. Daneben ein Bild von mir, auf dem ich ein Sektglas in der Hand halte und ungläubig dreinschaue. Oder dumm. Ansichtssache. Darunter ein Screenshot aus der Sendung, von der Vorstellung am Anfang. Ich mit Namensbalken und der Ortsangabe darunter. Der

Weitere Kostenlose Bücher