Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers
steige aus, und Annette quetscht sich aus Reihe zwei mit einer Flasche Champagner nach vorne, dem besten aus unserem Sortiment. Ich glaube, die haben irgendwas falsch verstanden. Einen Grund zum Feiern habe ich in letzter Zeit nirgends entdecken können. Ich lasse meinen Blick kurz über Leute und Schilder schweifen.
Frau Rottenbauer sitzt in ihrem Stühlchen und hält ein Holzschild, auf dem »Kopf hoch, Paul« steht.
Etienne Oberhaid und seine Mutter halten das größte Banner an beiden Enden: »Willkommen zurück, Fernsehstar!«
Dahinter junge Menschen, die ich nicht kenne, vielleicht Etiennes Freunde. Ziemlich sicher sogar, denn zwei von ihnen kleben mit ihrem Gesicht geradezu an ihren Smartphone-Displays, selbst während sie hüpfen; einer filmt. Sogar Herr Dr. Fischer steht am Rand, hält aber nichts und hüpft nicht. Vielleicht ist er einfach so vorbeigekommen, weil was los war. Eigentlich ist er im Ort nur als »der alte Kommunist« bekannt, weil er die taz liest und einmal Rainer Langhans getroffen hat, das war aber weit nach ’68. Jedenfalls ist er ganz links außen positioniert, wie passend.
»Ooooooh heeeeeey«, machen sie alle und spendieren mir eine weitere Welle. Auf die Schnelle erkenne ich noch Frau Deubach, wegen der wir Marshmallows im Programm haben, Herrn und Frau Wiesenthau in voller Jack-Wolfskin-Montur und die Scheßlitz-Zwillinge, Sandro und Sanchez, die vor ein paar Wochen sechzehn geworden sind und seitdem alle paar Tage vier Flaschen Bier kaufen. Dann fällt mir auch schon Annette um den Hals. »Das ist so schön, das ist so schön«, jubelt sie. »Heute machen wir Party. Und du gibst Autogramme.«
»Ich gebe was?«
»Und einmal bitte das Vögelchen«, schreit jemand aus dem Pulk. Ich drehe mich in die Richtung der Stimme und werde im nächsten Moment von Blitzlichtern blind geschossen.
»Die Zeitung ist da«, brüllt Annette erklärend dazwischen, »und das Wochenblättchen.«
»Sagen Sie mal Spaghettiiiii!«, krächzt die Wochenblatt-Frau und drückt noch ein paarmal ab. Wenn ich richtig sehe, hat sie ein Probierstück Gelbwurst in der Hand, mit der sie den Auslöser bedient. Roberto Blanco schmettert noch immer gute Laune und Sonnenschein aus den Boxen, die sich irgendwo zwischen den Menschen befinden müssen, Annette hängt mir eine Blumenkette um den Hals. Ich glaube, ich bin im falschen Film.
TAGAUS UND TAGEIN, EIN BISSCHEN SPASS MUSS SEIN . Ooooooh heeeeeey!
Ich glaube nicht, dass ich mich mit dieser Veranstaltung anfreunden werde. Ich will wieder nach Hause. Annette schenkt mir ein Glas Champagner ein. Frau Oberhaid hängt plötzlich an meiner Hand, schüttelt sie wie von Sinnen und sagt: »Paul, das haben Sie ganz ganz toll gemacht. Das bisschen Pech, na und! Sie waren im Fernsehen und haben Günther Jauch getroffen! Mensch, unser Paul. Ich bin so stolz!«
Ooooooh heeeeeey!
Tatsächlich stellt sich in den absurden weiteren Minuten Händeschütteln und Schulterklopfen heraus, dass genau das die Meinung aller ist, der common sense. Weil ich in einer Fernsehsendung war und die Leute mich dort für drei Sekunden gesehen haben, obwohl sie mich hier jeden Tag wesentlich länger sehen, bin ich in ihrem Ansehen gestiegen. Auch wenn ich nichts gewonnen habe. Ich bin der tragische Held, der eigentlich gar nichts geschafft hat. Damit bin ich aber immer noch der größte Held, den dieses Dorf je hervorgebracht hat. »Der Ortsvorsteher kommt gegen zwölf mit dem Goldenen Buch vorbei«, sagt Annette, als die Zeitungsfrau fragt, was heute noch ansteht. Ich glaub, ich spinne.
»Wie haben Sie die Sendung denn erlebt?«, fragt die Wochenblatt-Frau, allerdings nicht mich, sondern Etienne Oberhaid. Er sagt, er sei sehr überrascht gewesen, da er nichts von meiner Teilnahme wusste und eigentlich gar nicht Fernsehen schaue, aber seine Mutter habe ihn gerufen, als sie mich sah, und dann hätten sie mitgefiebert und Daumen gedrückt. Hätte ich es auf den Stuhl geschafft, hätte ich mit Sicherheit ordentlich was gewonnen, da sei er sich sicher. Schlaues Kerlchen, finde ich. Sehr vernünftig. So langsam wird mir der ganze Zirkus aber trotzdem zu viel.
Donnerstag, 17.20
Ich hatte schon die Hoffnung, die Polizei würde die ganze Veranstaltung wegen Ruhestörung oder Verstoßes gegen den gesunden Menschenverstand auflösen. Wie sich herausgestellt hat, kamen die Polizisten aber zum Gratulieren vorbei.
»Wenn einmal was los ist hier, da müssen wir doch dabei sein«, hat Herr Horb gesagt. Und
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