Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers
nächsten an Jauch dran, oder?«, sagt Herr Müller. Da kann ich nun nicht ganz zustimmen. Von der Körpergröße her kommt es fast hin, aber Herr Müller hat im Volumen doch einiges mehr zu bieten. Ich will seine Bereitschaft allerdings nicht dämpfen.
»Man muss auch mal Opfer bringen«, fährt er fort. »Aber erst nach Feierabend.«
»Wieso Feierabend? Du arbeitest doch grade gar nichts«, sagt Katja.
»Pauls Feierabend«, sagt Herr Müller. »Pauls Feierabend ist auch mein Feierabend. Außerdem arbeite ich sehr wohl, ich bereite akribisch eine sanfte Entführung vor.«
»Abgemacht«, sage ich und stehe ganz schnell auf.
Das Feierabendgerede hat mich daran erinnert, dass ich es niemals rechtzeitig zum Arbeitsbeginn zum Laden schaffen werde. Ich soll heute aufschließen. Das wird von Frau Rottenbauer ordentlich was auf den Deckel geben.
Dienstag, 20.35
Herr Müller erwacht nach genau fünfzig Minuten von selbst aus der Putzmittel-Narkose. Ich habe die Zeit gestoppt. Das fügt sich wunderbar in den Plan ein. So viel Zeit brauchen wir nicht mal.
»Na, wie war’s?«, frage ich und reiche ihm ein Glas Wasser.
»Toll war es. Ich fühle mich wie neugeboren«, sagt er.
»Glaub ich dir nicht«, sagt Katja. Es ist das genau zweite Mal, dass wir eine Meinung teilen.
»Doch«, sagt er. »Mir geht es fantastisch. Ich könnte Bäume ausreißen. Ich hab geschlafen wie ein Baby. Das ist der gleiche Effekt, wie wenn man hyperventiliert.«
»Wenn man was?«, fragt Katja.
»Woher weißt du, wie es sich anfühlt, wenn man hyperventiliert?«, frage ich. »Du bist doch gar nicht so ein grundaufgeregter Typ.«
»Das macht man natürlich vorsätzlich.«
Ich gebe ihm die Zeit, eine Erklärung nachzuschieben und verpacke derweil den Defibrillator, den ich für den Fall der Fälle heute besorgt habe, wieder in seinem Koffer. Es ist doch erstaunlich, wer solche Dinge einfach so zu Hause herumliegen hat, ohne sie wirklich zu brauchen. Ich darf natürlich jetzt nicht verraten, wer. Das ist Informantenschutz, oder wie man das in diesem Fall auch immer nennt. Zuliefererschutz. Jedenfalls wäre Wimmu nicht gut beraten, wenn heute jemand im Hexenbesen zusammenklappen würde.
»Wir hatten ja damals nix in West-Berlin«, sagt Herr Müller. Nicht dass ich das zum ersten Mal hören würde. »Und wenn man was Cooles erleben will als Jugendlicher und keine Drogen zur Hand hat, dann schnüffelt man eben Klebstoff oder hyperventiliert ganz einfach. Das ist total leicht. Du musst dich nur an eine Wand stellen, ein Kumpel drückt dir mit dem Unterarm auf die Brust und dann …«
»Ich will es gar nicht so genau wissen«, sage ich.
»Darf ich auch mal testbetäubt werden?«, fragt Katja in unsere Mitte.
Herr Müller und ich sehen uns zweifelnd an und überdenken ihre Frage. Dann antworten wir gleichzeitig. Er mit Nein, ich mit Ja. Wir einigen uns auf ein Unentschieden und demzufolge, wie man das in diesem Fall eben tun muss, auf in dubio pro reo. Katja ist zwar nicht angeklagt, aber es reicht schon, dass Herr Müller seine Gesundheit vorsätzlich aufs Spiel gesetzt hat, ich sogar unfreiwillig. Wir brauchen keine dritte Testperson. Wir entscheiden also für sie und verbieten ihr einen Test. Vielleicht wirkt das Putzmittel auf den weiblichen Organismus grundsätzlich anders, kann man nie wissen. Aber ihre Bereitschaft rechne ich ihr hoch an.
Was man jedenfalls festhalten kann: Der Plan ist jetzt rund. Runder geht’s nicht. Alles, was fehlt, ist das letzte kleine Mosaiksteinchen, die Zusage von Günther Jauch, dass er sich zum Strumpfträger des Jahres küren lassen und den Goldenen Strumpf entgegennehmen möchte. Das könnte noch ein Weilchen dauern.
Mittwoch, 11.44
»Herr Wildensorg, Herr Wildensorg!«, ruft Etienne von vorne im Laden. Ich habe ihn allein an der Kasse gelassen, um mich einer meiner absoluten Lieblingstätigkeiten zu widmen: Rechnungen abstempeln und eine Excel-Tabelle updaten. Das war natürlich gelogen, das mit der Lieblingstätigkeit. Verwaltung macht keinen Spaß. Gut, dass ich offenbar an der Front gebraucht werde.
»Ja, was gibt’s denn?«, frage ich, als ich die paar Meter nach vorne eile.
»Eine Beschwerde«, sagen Etienne und jemand anders, irgendein Mann, gleichzeitig, noch sind sie nicht in meinem Blickfeld. Ich biege bei den Maoams, Wick Bonbons und Fishermen ab, und schon erkenne ich auf den ersten Blick, was Sache ist: Großstadtkunden. Auf den zweiten Blick: aus München. Woher ich das weiß?
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