Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers
dümmer.
»Soll ich Ihnen den Weg nach draußen zeigen?«, fragt Frau Rottenbauer, auf die Tür zusteuernd, ohne den Blick vom Boden vor sich zu nehmen.
»Die sind hier alle verrückt«, flüstert die Frau, für ein Flüstern sehr laut.
»Wir gehen!«, ruft der Mann entschieden, als ob es auch andere Fortsetzungsmöglichkeiten dieser Episode gäbe.
»Auf Wiedersehen, Frau Rottenbauer«, sage ich.
Als alle den Laden verlassen haben und die Staubwolke des BMW sich verzogen hat, wischt sich Etienne die Haare aus dem Gesicht und zeigt beim Lachen alle seine Milchzähne. »Herr Wildensorg! Sie können ja echt gemein sein«, sagt er bewundernd. »Die haben Sie wirklich krass abblitzen lassen. Hat es irgendeinen Grund, dass Sie so gut drauf sind?«
»Ja«, sage ich und grinse breit. »Ist aber ein Geheimnis.«
Was ich vorhin gesagt habe, war nämlich ein bisschen gelogen. Ich habe hinten im Büro nicht nur Rechnungen abgestempelt, ich habe auch mit Herrn Müller telefoniert. Und er hatte gute Nachrichten: Günther Jauchs Management hat sich gemeldet. Er hat zur Preisverleihung zugesagt. Natürlich bin ich gut drauf. Ich könnte zur Feier des Tages direkt einen Aperol Spritz trinken. Die Flaschen stehen ein bisschen versteckt.
Sonntag, 17.30
Als ich das Wohnzimmer betrete, sehe ich Katja auf dem Boden kauern, ihr fettarmes Hinterteil regelmäßig nach rechts und links ausschwenkend. Irgendetwas macht sie mit ihren Händen.
»Was machst du da?«, frage ich.
»Ich kämme die Teppichfransen«, sagt sie mit großer Selbstverständlichkeit.
Ich habe noch nie Teppichfransen gekämmt. Ich fände es natürlicher, eine Katze zu kämmen oder seine eigenen Brusthaare. Ihr Tun erweckt in mir also eine gewisse Neugier. Ich will der Sache auf den Grund gehen.
»Katja?«
»Ruhe! Ich muss mich konzentrieren!«
»Katja? Warum genau kämmst du die Teppichfransen?«
Endlich dreht sie sich um.
»Ja, warum kämme ich wohl die Teppichfransen?«, sagt sie, als fragte sie, warum sie zwei Arme hat. »Denk mal drüber nach!«
Ich bin mir sicher, dass ihre Aufforderung nicht zum Erfolg führt, selbst wenn ich sie beherzigen würde.
»Ist das mein Kamm, den du da in der Hand hast?«
Sie übergeht die Frage und leitet gleich zu ihrer logischen Erklärung über:
»Was soll Günther Jauch denn von uns denken, wenn er hier reinkommt? Das hier ist ein ordentlicher Haushalt. Das soll er denken. Und deshalb kämme ich die Teppichfransen, damit sie schön gerade liegen und alles seine Ordnung hat.«
Intuitiv sehe ich nach oben an die Deckenecke, wo ein verstaubtes Spinnennetz im leichten Windzug hin und her schwingt.
»Er soll sich wie zu Hause fühlen, der Herr Jauch. Der Raum soll Gemütlichkeit ausstrahlen.«
Wir gehen die Sache einfach von ganz unterschiedlichen Warten aus an, überlege ich, aber so ist am Ende womöglich an alles gedacht. Morgen ist es so weit. Morgen kommt er. Wenn alles klappt.
Viel mehr Sorgen als um die Teppichfransen haben wir uns in den letzten Wochen um die genaue Aufgabenverteilung gemacht, und dabei kam ein nicht zu vernachlässigendes Problem auf: Ich kann nicht dabei sein, wenn wir ihn abholen. Selbst falls er ein schlechtes Gedächtnis hat, ist es durchaus möglich, dass er mein Gesicht noch kennt. Die Sendung liegt noch nicht lange zurück. Natürlich werden wir danach nicht die ganze Zeit mit Masken herumlaufen, wir hoffen einfach auf den Stockholm-Effekt und seine gütige Mitwirkung, das wird schon irgendwie, aber direkt beim Empfang in Frankfurt darf er noch keinen Verdacht schöpfen. Daher müssen Katja und Herr Müller das alleine hinkriegen. Der Plan ist an sich ganz einfach: Alles, was man braucht, ist eine Limousine mit abgetrenntem Fond. Die haben wir. Sie steht vor der Tür. Im Detail:
Herr Jauch kommt nicht alleine, das wissen wir. Er hat einen Assistenten Schrägstrich Diener Schrägstrich Bodyguard dabei, das wurde der Gesellschaft der deutschen Strumpfträger, also Herrn Müller, mitgeteilt. Alles, was zu tun ist, ist, die beiden im Fond zu platzieren, fertig. Und dann wird bei voller Fahrt durch die Belüftung Katjas Putzmittel auf sie losgelassen. Binnen einiger Sekunden sollten sie selig schlummern. Was hinten passiert, lässt sich auf einem Bildschirm in der Steuerkonsole überprüfen, also weiß Herr Müller, wann es so weit ist. Es wird natürlich nicht mehr Dampf als nötig geben, Stichwort Sanftheit. Herr Müller hat das alles ausbaldowert und installiert, und in einer zweiten
Weitere Kostenlose Bücher