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Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers

Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers

Titel: Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ritter
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Kombinationsgabe und Erfahrung. Sie wollen irgendwas haben, was unser Repertoire nicht hergibt, und regen sich furchtbar darüber auf. Passiert alle paar Wochen.
    »Sie sind der Cheffe, ja?«, sagt der stämmige Mann mit dem Pullover um den Schultern, von dem aus mich ein kleines, aufgesticktes Krokodil angrinst.
    »Ja«, sage ich mit meiner tiefstmöglichen Bruststimme.
    »Dann hören Sie sich mal an, was Ihr Azubi behauptet«, sagt die Frau an des Mannes Seite. Die Sonnenbrille in ihrem Haar wippt leicht, wenn sie redet.
    »Er ist kein Azubi, Etienne ist Praktikant«, sage ich.
    »Ist ja noch schöner«, sagt die Frau.
    »Also?«, frage ich.
    »Ich habe nur gesagt, dass wir keinen Aperol Spritz im Sortiment haben«, sagt Etienne.
    Die Frau beginnt fast hysterisch zu lachen. »Hören Sie?« Sie stößt ihrem Mann neckisch den Ellenbogen in die Seite. »Kein Aperol Spritz, ha! Also, wo steht er denn?«, fragt sie mich, als sie sich beruhigt hat.
    Ich lasse mir eine Kunstpause lang Zeit und bereite mich darauf vor, ihren Gesichtsausdruck zu genießen: »Es stimmt. Wir haben keinen Aperol Spritz.«
    Der Frau fällt das Gesicht aus dem Gesicht. Sie scheint nah an einer Ohnmacht.
    »Wo leben Sie denn?«, fragt sie völlig verständnislos. »In diesem Jahrhundert, ja? Aperol Spritz ist DAS Modegetränk der letzten paar Sommer.«
    »Ich weiß«, sage ich. »Aber es schmeckt scheiße.«
    Ab und an habe ich Spaß daran zu provozieren. Bei Durchreisekunden bin ich gerne frech. Gerade bei solchen wie den Exemplaren vor mir, die hochnäsig durch die Welt spazieren und alle Dienstleister als Diener ansehen, die einen Hofknicks vor ihnen machen müssen. Meine Behauptung, Aperol Spritz schmecke scheiße, trifft die Frau, als hätte ich das Grab ihrer Mutter geschändet. Inzwischen kämpft sie fast schon mit den Tränen.
    »Entschuldigen Sie sich bei meiner Frau!«, fordert ihr Mann.
    »Sie armer, armer Mensch«, stammelt die Frau vor sich hin.
    Etienne tut sich schwer damit, ein Lachen zu unterdrücken, ich spiele weiterhin den sturen Dorfdeppen und finde zunehmend Spaß daran. Im Weltbild der feinen Dame scheint man kein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft zu sein, wenn die Verfügbarkeit von Modegetränken nicht permanent gewährleistet ist.
    »Ich könnte Ihnen als Ersatz Jacky-Cola in der Dose empfehlen«, sage ich.
    »Meinen Sie das ernst?«, fragt der Mann verblüfft.
    »Natürlich.« Natürlich nicht.
    »Wo bekommen wir denn in Ihrem Ort einen guten Aperol Spritz her?«, versucht es die Frau jetzt auf der sachlichen Ebene. Sie scheint den Schock fürs Erste verdaut zu haben.
    »An jeder Tankstelle«, antworte ich. »Allerdings haben wir hier nur eine, drei Dörfer weiter, das ist das Problem. Aber wenn Sie dort sind, können Sie auch gleich Ihren schicken BMW durch die Waschstraße fahren. Der wirkt ein bisschen verdreckt.«
    Der Schluss, dass der direkt vorm Schaufenster im absoluten Halteverbot stehende BMW Z 3 zu dem seltsamen Aperol-Paar gehört, lag wirklich nahe. Da gab es nicht sehr viel zu kombinieren.
    »Übrigens bekommen Sie gerade einen Strafzettel.«
    Die beiden sehen sich um. Draußen lässt Doris gerade den Scheibenwischer über den Zettel schnappen. Als sie mich durchs Schaufenster sieht, winkt sie freundlich herein.
    »Ja, so eine Sauerei!«, poltert der Mann. »Das ist doch ein abgekartetes Spiel. Da haben uns die Bauern hier drangekriegt.«
    Obwohl ich jetzt genug Grund hätte, auch ausfallend zu werden, bleibe ich überaus freundlich und belehre sie stattdessen lieber: »Nein, nein, zu so etwas sind wir Bauern gar nicht fähig. Würden Sie sich hier auskennen, wüssten Sie einfach, dass Sie um diese Uhrzeit auf keinen Fall draußen vorm Laden parken sollten. Sonst ist es nicht so schlimm. Doris ist die einzige Politesse im Landkreis, und sie fährt mit ihrem Fahrrad von Dorf zu Dorf. Zwischen elf Uhr dreißig und zwölf Uhr ist sie bei uns. Das heißt außerdem, dass wir gleich Mittagspause haben und ich Sie freundlich bitten darf, entweder irgendwas zu kaufen oder jetzt so langsam nach draußen zu gehen.«
    Jetzt schauen die beiden so doof und verständnislos drein wie meine Kühe. Lustig, denn wahrscheinlich haben sie noch nie eine echte Kuh gesehen.
    Wie passend, dass Frau Rottenbauer gerade jetzt ihre tägliche Sitz- und Lesesession beendet und mit dem Klappstühlchen unterm Arm aus den Tiefen des Ladens getippelt kommt. Als sie sie bemerken, gucken die beiden Stadtaffen gleich noch eine Stufe

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