Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers
Versuchsreihe haben er und ich es gestern ausgetestet. Nach zehn Sekunden waren wir für eine Stunde weg. Diesmal hatte ich auch keine Nahtoderscheinungen, sondern ganz angenehme Träume. Ich habe eine ganze Supermarktkette geleitet.
Der Schlitten war natürlich nicht ganz billig, wir haben ihn für fünf Tage geleast, aber von nichts kommt nichts. Man muss erst investieren, um Gewinne machen zu können – Herrn Müllers großes Credo. Auch Katja hat im Voraus Unmengen Geld ausgegeben, für die sinnlose Dekoration des Limousineninnenraums. Aber sie meint, das könne man alles wiederverwenden. Bin mal gespannt.
Weiter im Plan: Sobald die beiden Fahrgäste sich für ihr Nickerchen aneinandergekuschelt haben, stoppt Herr Müller den Wagen in einem abgelegenen Waldstück; er hat sich fünf mögliche Plätze auf der Strecke ausgesucht und sie auch schon alle abgefahren. Dort wird dann Herrn Jauchs Begleiter abgesetzt. Wir haben schon den Wetterbericht studiert, es wird nicht regnen, milde achtzehn Grad. Es soll für ihn ja auch keine Zumutung werden in der freien Natur, er ist bestimmt ein Stadtmensch. Er bekommt alle Mobiltelefone, die Katja und Herr Müller in Gepäckstücken und Hosentaschen finden, neben sich gelegt, damit der Wagen und Herr Jauch nicht geortet werden können. Dafür kann er, der Begleiter, sich aber selbst orten, sofern er weiß, wie das geht, und sich ein Taxi rufen oder einen Bus nehmen. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass er kein Geld bei sich haben sollte, kriegt er zwanzig Euro Fahrtgeld und ein Proviantpaket dazu. Getränke, zwei Butterbrote und ein paar Radieschen aus unserem Garten. Ob wir ihm auch einen Salzstreuer dazugeben sollten, falls er die Radieschen gerne mit Salz isst, haben wir lange diskutiert und uns schließlich pro Salzstreuer entschieden. Wir hatten sowieso einen zu viel. Fast noch wichtiger ist aber das Begleitschreiben, das nach viel Hin und Her schließlich den folgenden Wortlaut hat:
Liebe Begleitperson von Günther Jauch,
wir hoffen, Sie hatten einen angenehmen Schlaf. Zur Stärkung haben wir Ihnen Brote, Radieschen, Mineralwasser und echte Kuhmilch eingepackt. Machen Sie sich bitte keine Sorgen, Herrn Jauch geht es gut. Wir entführen ihn nur für ein paar Tage, dann haben Sie ihn wieder. Sie trifft keine Schuld! Sie haben Ihren Job prima gemacht! Unser Plan war einfach sehr gut.
Bitte rufen Sie nicht die Polizei, das wäre uns unangenehm. Denn dann müssten wir doch fordernder werden, und das will niemand. Wir melden uns morgen und stellen unsere Forderungen. Das können Sie gerne ausrichten.
Wir wünschen eine komfortable Heimreise und verbleiben mit freundlichen Grüßen,
Die Entführer
Wer würde nach einem solch netten Brief noch etwas gegen uns haben?
Dritter Teil
Montag, 18.28
Damals, als ich im Auswahlpool zur Sendung war, dachte ich, es könne nichts Schlimmeres geben, als auf den alles entscheidenden Anruf zu warten. Das war eine krasse Fehleinschätzung. Es ist noch viel schlimmer, auf den jetzigen, alles entscheidenden Anruf zu warten. Herr Müller ist überfällig. Nach Zeitplan sollten sie schon längst mit allem durch sein, nur noch Herrn Jauch im Auto haben und innerhalb der nächsten halben Stunde hier auftauchen. Ich werde wahnsinnig! Aus lauter Verzweiflung und Angst davor, dass die Zeit noch langsamer vergeht, wenn ich untätig bin, habe ich schon die Kühe einmal zu oft gemolken – es kam gar nichts mehr raus – und, wer hätte es gedacht, die Teppichfransen noch einmal nachgekämmt. Die Spinnweben an der Decke sind jetzt auch weg, ich wäre fast vom Stuhl gefallen, als ich mich mit dem Staubsauger an sie rangemacht habe. Das war wirklich dumm von mir. Ich hätte das Telefonklingeln überhören können, als ich gestaubsaugt habe. Jetzt trage ich es wieder am Halfter bei mir. Der Akku ist voll. Ich habe sogar ein Meinungsinstitut, das angerufen hat, sehr rüde abgewimmelt, obwohl ich Umfragen doch eigentlich gern beantworte. Aber was soll ich tun? Wenn ich Herrn Müller anrufe und er grade dabei ist, den Bodyguard abzusetzen, wacht der vielleicht auf, sobald er ein Klingeln hört. Herrn Müllers Klingelton ist wirklich penetrant, obschon nicht originell. Es ist der Nokia-Ton, den eine Zeit lang alle Handys weltweit hatten. Jetzt gilt man eher als wunderlich, wenn man ihn noch eingestellt hat. Herrn Müller stört das nicht. Herr Müller ist an sich eine starke Persönlichkeit, ohne allerdings ständig betonen zu müssen, dass er eine
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